nd-aktuell.de / 16.12.2010 / Politik / Seite 3

Eine gefährliche PR-Aktion

Anwalt: US-Behörden wollen Wikileaks-Gründer vor Gericht sehen

Wikileaks-Gründer Julian Assange muss noch bis heute auf eine Entscheidung über seine Freilassung warten. Zuvor wird über die Berufung Schwedens gegen die Entscheidung der britischen Justiz vom Dienstag verhandelt, Assange gegen Kaution aus dem Gefängnis zu entlassen. Die schwedischen Behörden werfen dem Netzaufklärer sexuelle Übergriffe vor. Der US-Anwalt Michael Ratner ist Präsident des »Center for Constitutional Rights« in New York. Er steht in ständigem Kontakt mit Assanges Anwälten in Großbritannien und Schweden. Mit ihm sprach in New York für ND Max Böhnel.
US-Anwalt Michael Ratner
US-Anwalt Michael Ratner

ND: Angeblich beraten zur Zeit in der Nähe von Washington Regierungsjuristen in geheimer Runde, wie man Julian Assange in den USA anklagen und hinter Gitter bringen kann. Was wissen Sie darüber?
Ratner: Die USA-Regierung hat Informationen durchsickern lassen, dass es ein solches Gremium gibt. Diese sogenannte »secret grand jury« soll in einem der konservativsten Gerichtsbezirke der USA, im Bundesstaat Virginia in der Stadt Alexandria, zusammenkommen. Dort soll Assange, falls er in die USA ausgeliefert wird, wohl auch angeklagt werden. Es ist kein Zufall, dass der Bezirk die Heimat des USA-Auslandsgeheimdienstes CIA ist. Eigentlich ist es illegal, irgend etwas über eine Grand Jury zu vermelden oder weiterzugeben. Aber darum schert sich die Regierung nicht.

Meine Position als Präsident des Center for Constitutional Rights ist natürlich, dass Wikileaks und Assange nichts Illegales getan haben, nichts anderes als »New York Times«, »Spiegel«, »Le Monde«, »El Pais« und »The Guardian«.

Weshalb geht es dann nur gegen Wikileaks und dessen Kopf Julian Assange?
Weiter gefasst geht es um den unabhängigen Journalismus, um Meinungsfreiheit, demokratische Rechte, das Recht der Bevölkerung, die Geheimnisse ihrer Regierung zu erfahren, vor allem, wenn diese Geheimnisse Krieg, Mord und Folter mit einschließen. Mir sieht das alles sehr nach »Teile und Herrsche« aus: Wikileaks und Assange als Kriminelle und Terroristen ausschalten, die genannten Medienkonglomerate aber erst einmal ignorieren.

Wird Washington mit einer Anklage auf der Grundlage des Spionagegesetzes von 1917, das in den letzten Tagen oft angesprochen wurde, durchkommen?
Bisher wurde noch nie jemand, der Informationen weitergab, nach dem Spionagegesetz erfolgreich angeklagt und verurteilt, zum Beispiel Daniel Ellsberg, der die Pentagonpapiere an die Presse weiterreichte. Ebenso wurde bisher kein Journalist nach dem Gesetz verurteilt. Der entsprechende Parallelfall, der dem in jüngster Zeit am nächsten kam, war James Risen von der »New York Times«. Er hatte die Praxis des Abhörens US-amerikanischer Staatsbürger ohne gerichtliche Genehmigung enthüllt. Die Bush-Regierung war stinksauer und drohte wiederholt mit einer strafrechtlichen Verfolgung, ließ dann aber davon ab.

Falls die Obama-Regierung es im Fall von Assange versucht, würde es innerhalb der USA zu einem massiven Aufschrei kommen. Jeder, der etwas von Demokratie und der Aufdeckung von Fehlverhalten hält, würde Radau machen. Dann stünde die Regierung noch nackter da, als sie es schon ist.

Wie sind die wilden Drohungen gegen Assange und Wikileaks dann einzuordnen?
Bei der Drohung mit dem Spionagegesetz handelt es sich momentan um eine PR-Aktion, aber eine gefährliche. Was sich die Regierung realistischerweise und unbedingt wünscht, das sind Fernsehbilder von einem Julian Assange, der in Handschellen in ein Gerichtsgebäude geführt wird. Er soll so lange wie möglich, zur Zeit in Großbritannien, später vielleicht in Schweden, als Krimineller durch die Medien gehen. »Wenn sich die Medien damit beschäftigen, umso besser«, so denken die Beamten in Washington, »und dann mal weitersehen«.

Allerdings ist die Hysterie gegen Assange durchaus mit den Drohungen Washingtons gegen das angeblich kommunistisch unterwanderte Hollywood in den 50er Jahren zu vergleichen. Assange ist in aller Form von hochrangigen Politikern beschimpft und bedroht worden – das ging bis zu Morddrohungen. Jetzt droht man ihm mit der Macht der Gesetze. Man versucht, ihn zu isolieren, und beschuldigt ihn, Menschenleben aufs Spiel gesetzt zu haben. Und legt dafür keinen Beweis vor. Früher hieß es in den USA »Kommunist«, heute »Terrorist«.

Ein Ablenkungsmanöver?
Die Alternative wäre die Aufklärung über Schattenkriege in Pakistan und Jemen oder über den Druck der USA auf deutsche Stellen im Fall Al Masri oder bei den Guantanamo-Fällen in Spanien. Wikileaks hat die entsprechenden Depeschen veröffentlicht.

Halten Sie es für denkbar, dass ein USA-Präsident grünes Licht für die Ermordung von Julian Assange gibt?
Wenn die USA im Nachhinein anführen können, dass Assange den Vereinigten Staaten »riesigen Schaden« zufügte, etwa indem US-Bürger durch seine Aktivitäten zu Schaden gekommen sind, dann hat der Präsident die rechtliche Gewalt, die Ermordung eines amerikanischen Bürgers anzuordnen, und die eines Nicht-Amerikaners so oder so. Gründe lassen sich jedenfalls herbeilügen. Ich hoffe sehr, dass die Herren in Washington so nicht denken. Aber die Sorge um Julian Assanges Sicherheit besteht durchaus. Man wünscht sich, dass die USA nicht doch ein so tiefer Sumpf von Terror und Folter sind, wie man es glauben könnte.

Trotzdem: Was ich in den letzten 10 Jahren Bush- und jetzt Obama-Regierung gesehen und erlebt habe – wetten würde ich darauf nicht.