Ohne Blut

»Die Fledermaus« in Erfurt

  • Roberto Becker
  • Lesedauer: 4 Min.

Die »Fledermaus« ist unverwüstlich. Die Musik von durchschlagender Vitalität. Auch die Rache-Intrige hat ihren Charme und Witz. Sie ist manchmal sogar böse und erlaubt den Blick hinter die Fassade einer gutbürgerlichen Ehe. Der Hausherr soll in den Knast, geht aber stattdessen erst einmal auf ein Fest. Sie soll daheim, sich grämend, seine Wiederkehr erwarten, hat aber schon ihren Tenor-Liebhaber in petto. Und dass Adele nicht ihre bejammerte kranke Tante, dafür aber jede Menge Bühnenflausen im Kopf hat, ist sowieso klar. Was sich daheim die Hucke voll lügt, trifft sich dann, beim Prinzen Orlowsky, nächtens wieder. Und lügt weiter. Nur diesmal in großer Robe, denn man gibt sich als Marquis, ungarische Gräfin und Bühnenberühmtheit aus. Im dritten Akt gibt es dann den Katzenjammer der Selbsterkenntnis. Eine Klamotte ist das nicht. Und harmloser Ulk schon gar nicht.

In Katharina Thalbachs eigener Textfassung wird immerhin mal klar gesagt, dass Dr. Falke, nach dem üblen Scherz, den sich Eisenstein nach durchzechter Nacht mit ihm erlaubt hatte, seine berufliche Existenz verlor. Weil es eben der Reputation nicht gerade zuträglich ist, im Fledermaus-Kostüm am helllichten Vormittag durch die Stadt zu laufen. Ansonsten aber biedert sie sich etwas plump mit »Party« (für das Fest), »Putzfrau« (fürs Stubenmädchen) und »Zahnarzt verprügelt und Urologe genannt« (als Straftat Eisensteins) an die Gegenwart heran.

Hier musste Dr. Falke (Florian Götz) sogar nach Transsilvanien emigrieren. Inklusive einer Einbürgerung samt Blutzoll gegen Pass. Der Anlauf, den die Inszenierung damit nimmt, ist gar nicht so übel. Aber es wird eben kein schwindelerregender Blick in den Abgrund daraus, sondern ein ziemlich läppischer Themenabend, nach dem Motto: Graf Dracula lässt bitten. Da sieht dann der zweite Akt aus wie eine Mischung aus Tanz der Vampire, Rocky Horror Picture Show und einem Gisela-Schlüter-Tanzeinlagen-Remake aus vergangenen TV-Zeiten.

Dass der Frosch dann unter den ziemlich eindrucksvoll herumhängenden Vogelkäfigen (sprich Zellen) mit dem Handwerkszeug eines Vampirjägers ausgestattet ist, sich einen vom Gefängnisdirektor vollgepinkelten Helm aufsetzt, Second-Hand-Witze über Politiker (geschenkt) und über Sänger (geschmacklos) macht, gehört zur allerorts üblichen Regionalisierung des Frosch-Auftrittes. Bei Thalbachs Halbbruder Pierre Besson ist das mehr in der Nähe abgestandenen Politikkabaretts und hat nichts von jener clownesken Tragik und Größe, die Josef Ostendorf gerade in Philipp Stölzls so wundersam Purzelbäume schlagenden Stuttgarter »Fledermaus« hatte. Aber was soll da noch kommen, wenn man beim »Brüderlein und Schwesterlein« eine (Ordens-) Schwester in den Arm nimmt oder in einer imaginären Schüssel herumrührt, wenn von Rührung die Rede ist.

Der Aufwand von Angelika Rieck mit ihren Zombie-Kostümen ist enorm, aber nur von diffusem Show-Wert; das Bühnenbild von Momme Röhrbein mit idyllischem Eisenstein-Schlafzimmer, düsterem Burggewölbe und surrealem Käfiggefängnis immerhin musical-like. Der Einsatz der Erfurter Protagonisten (die meisten Rollen sind doppelt besetzt) ist beachtlich. Dabei schneidet der im besten Sinne operettenkompatible Eisenstein von Thomas Mohr am besten ab. Aber auch Johanna Winkler vermag ihre Rosalinde bis zu einem fulminanten Csárdás zu steigern und Stephanie Müther den Prinzen Orlowsky glaubhaft in den Grafen Dracula zu überhöhen. Die Adele bleibt bei Christa Maria Dalby etwas zu dünn; Robert Wörle rettet sich mit seinem Alfred, vor allem wegen körperlicher Ähnlichkeit, mit einem gerüttelt Maß an Selbstironie in eine Pavarotti-Karikatur.

Doch trotz aller Protagonisten- und Statisten-Mühe wird diese durch zwei ausführliche Pausen auf dreieinhalb Stunden ausgedehnte »Fledermaus« kein mitreißendes Vergnügen. Musikalisch bleibt sie unter Leitung des Erfurter Kapellmeisters Samuel Bächli eher schleppend. Dass man in Erfurt kein Riesenorchester hat, mit dem man betörend großformatigen Streicherglanz aufscheinen lassen könnte, ist das eine. Dass Bächli aber so sehr entschleunigt, dämpft und die Hits der Operette mit so wenig Esprit serviert, ist ein anderes. Vielleicht ändert sich das ja noch.

Mit dem Missverständnis dieser Inszenierung wird man in Erfurt wohl erst einmal eine Weile leben müssen. Eine Blutzufuhr aus der (Film-Musical-)Konserve braucht die »Fledermaus« nämlich definitiv nicht. Wobei Katharina Thalbach hier ja mehr übers Blutaussaugen erzählt. Insofern also ihr Bild zur Bühnentat macht. Was wenigstens konsequent ist. Aber blutleer blribt.

Nächste Aufführungen: 31.12.

Fotos: Theater Erfurt

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