Aber das Leben ist nicht fair

In Radebeul adaptiert Reiner Feistel Songs der Teenie-Band »Silbermond« und verspricht: »Irgendwas bleibt«

  • Volkmar Draeger
  • Lesedauer: 4 Min.

W ir sollen so sein wie ihr. Wir können es nicht mehr hören. Du machst die Augen zu, wirst mich nie wiedersehn. Ich kämpf mich durch die Nacht, bin unter Tränen aufgewacht. Machs dir selbst. Wo bist du hin, bist mir völlig fremd. Mach dich frei von dem, was stresst. Gib mir ein kleines bisschen Sicherheit. – So heißt es in den Texten von »Silbermond«, so mögen Heranwachsende auch empfinden, was Erwachsene ihnen mit auf den Weg geben und was Jugendliche untereinander abzuhandeln haben.

Die Bautzener Band um Sängerin Stefanie Kloß trifft mit ihrem Deutsch-Rock ins Schwarze von Teenager-Gefühl und hat auch den Anfang-Fünfziger Reiner Feistel erreicht. Für seine Radebeuler Compagnie führt »Irgendwas bleibt« eine Reihe fort, die einst mit Abenden zu Titeln von Herbert Grönemeyer und Xavier Naidoo begonnen hat, um junge Zuschauer an die Landesbühnen Sachsen zu binden. Reizvoll ist auch die Nähe zwischen Saal und Szene in der Studiobühne als Spielort. Dass Feistel dem knappen Dutzend eigentlich für sich stehender Songs eine dramaturgische Klammer gegeben hat, verbündet sie mit seinen Absichten.

Hausfassade, Tische, Stühle. Sieben Schüler starren vor sich hin, träumen bei der Mathe-Arbeit. Formeln wandern auf der Projektion, der Lehrer sammelt die Zettel ein, schreiben, blättern, denken werden zu stereotyper Gestik. Die Befreiung: Über die Tische geht's mit akrobatischem Furor. Fragen, Wut nach dem Verteilen der Klassenarbeiten, aber morgens ist die Welt noch in Ordnung, Schulhoflärm schluckt die schlechte Laune.

Ein Mädchen allerdings ist glücklich: Sie hat sich verliebt in den Lehrer, der sie angstvoll zurückweist, mit seiner Hand ihr Gesicht abwendet. Das intensive Werben, die Sprünge in seine Arme sind vergebens, auch wenn das Mädchen noch lange seine Berührung auf der Haut spürt. Ihr aufbegehrendes Solo wird Selbstbefreiung.

Einem anderen Mädchen erscheinen im nächtlichen Nebel drei Wunschpartner, den einen kriegt sie nicht aus dem Kopf. Frauenpower siegt: Hinter gekippten Tischen machen sie ihre Boys bis zur Erschöpfung fertig. Aber das Leben ist nicht fair: Einer Frau ist der Partner fremd geworden, Regen wischt die Spuren einer Liebe fort.

Als sich kurz vor Ende des 50-Minuten-Ausflugs ins Teenager-Leben sogar der Lehrer von inneren Zwängen freitanzt, bricht Alltag ein. Terrorwarnung, Selbstmordanschlag, Amoklauf, Nordkoreas Attacke gegen den Süden. Wieg mich in Sicherheit, gib mir irgendwas, was bleibt, singt Stefanie und hat damit dem Abend den Titel geliehen. Was sie noch fordert, behauptet Reiner Feistel optimistisch: dass etwas bleibt. Den Tänzern bleibt nach Anrufung der »Krieger des Lichts« nur die respektvolle Debatte im Sitzkreis.

Der Zuschauer nimmt gottlob mehr mit nach Hause. Feistels dichte, akrobatisch so knifflige Bewegungssprache trifft die feurige Poesie der »Silbermond«-Texte und den flapsigen Ton der Zeit. Dass er für den letzten Song kein starkes Bild mehr fand, schlägt nur matt zu Buche. Sein »Schüler«-Septett übertanzt auch das, die Soli von Helena Gläser und Mu-Yi Chen sind besonders stark.

Hat Instrumentalmusik von Kammerflimmer Kollektief den Übergang zwischen den Titeln geschaffen, so läuft der zweite Teil des Abends ganz ohne Gesang. Zwei kammermusikalische Kompositionen von Arvo Pärt begleiten »silent poem«, den kaum 20 Minuten währenden Beziehungsbogen eines Paares vom Beginn bis zum Ende. Separat lässt Feistel die Tänzer hocken, setzt gegen das betörende Legato von Klavier und Violine das Staccato geburtswehenhaften Zuckens. Als die zwei sich treffen, entspinnt sich das sensible Miteinander letzter Hingabe.

In der choreografischen Feinzeichnung stand hier der Ausdruckstanz Pate. Doch kaum hat sich die Frau liebend dem Partner untergeschoben, schwebt an seinen Armen im Glück, verfällt die Beziehung in Routine: Alles, selbst die Umarmung, läuft weiter, braucht aber den Gegenpart nicht mehr. Isoliert im Spot fühlt zwar jeder den anderen noch, der Schritt zurück in die Gemeinsamkeit gelingt nicht mehr. Tanzt Patrick Finger mit einem Zuviel an Kraft und Spannung, so bietet Anna Paunok darstellerisch, emotional eine überragende Leistung.

Nächste Aufführung: 8.1.

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