Warum von der Leyen verklagen?

Dietmar Brach über diskriminierende Bildungsgutscheine / Brach ist Fachreferent für Sozialrecht der Arbeitslosenhilfe Rheinland-Pfalz

  • Lesedauer: 3 Min.
Fragwürdig: Warum von der Leyen verklagen?

ND: Die Arbeitslosenhilfe Rheinland-Pfalz ruft betroffene Eltern dazu auf, Strafanzeige wegen übler Nachrede und Verleumdung gegen die Bundessozialministerin zu stellen. Warum wollen Sie Ursula von der Leyen verklagen?
Brach: Die Ministerin behauptet, es wäre notwendig, die Leistungen, die für die Förderung von Kindern gedacht sind, in Form von Gutscheinen auszuzahlen, damit das Geld bei den Kindern ankommt. Damit wird den Eltern pauschal unterstellt, dass sie staatliche Gelder zweckentfremdet einsetzen und sie damit unterschlagen. Es kann nicht sein, dass Erziehungsgeld und Kindergeld bar ausgezahlt wird, während die Förderung von Kindern aus Hartz-IV-Haushalten über Gutscheine erfolgt. Hartz-IV-Empfänger sind nicht Menschen zweiter Klasse und schon gar nicht Eltern zweiter Klasse.

Aber gibt es nicht auch Eltern, die das Geld für ihre Kinder anderweitig ausgeben?
Deren Anteil liegt im Promille-Bereich. Das gleiche Problem stellte sich ja schon mal bei den Zahlungen von Mietkosten an Hartz-IV-Bezieher. Damals ging es um die Frage, ob man die direkt an den Vermieter machen soll. Das geht eigentlich auch nicht, weil alle Leute, die ehrlich jeden Monat ihre Miete bezahlen, diskriminiert werden durch wenige schwarze Schafe, die es übrigens nicht nur bei Hartz IV-Empfängern gibt.

Bietet das Bildungsgutschein-Modell nicht auch Vorteile? Immerhin könnten Kinder so direkt zu Sportvereinen oder Nachhilfelehrern gehen, die man zuvor auf ihre Zuverlässigkeit überprüft hat.
Man sieht ja, was die Arbeitsagenturen bisher geleistet haben, wenn es darum ging, bei den Weiterbildungsmaßnahmen die richtigen Träger auszusuchen. Da ist einiges schiefgelaufen. Es werden viele an sich sinnlose Kurse angeboten, die eigentlich nur den Kursanbietern einen sehr guten Verdienst bringen, aber letztendlich den Betroffenen nicht weiterhelfen. Deshalb sind pauschale Leistungen eindeutig vorzuziehen.

Wie ist die Resonanz auf Ihren Aufruf zur Klage?
Ganz enorm. Viele Betroffene melden sich bei uns und sagen, dass es gut ist, dass endlich mal was passiert. Wir sehen die Resonanz ja auch an den gestiegenen Besucherzahlen unserer Webseite www.arbeitslosenhilfe-rlp.de, und auch unser E-Mail-Account steht nicht mehr still

Derzeit streiten ja Regierung und Opposition über die Hartz-IV-Reform. Allerdings steht das Gutschein-Modell dabei grundsätzlich nicht in Frage.
Das bedauere ich. Viele Politiker haben überhaupt keine Vorstellungen, was wirklich in den Familien vorgeht. Und was es heißt, den Menschen von vornherein zu misstrauen und sie vom Umgang mit Geld auszuschließen.

Nun werfen Kritiker Ursula von der Leyen vor, sie würde mit dem Gutschein-Modell höhere Regelsätze für Kinder umgehen. Ist das eine Einschätzung, die Sie teilen?
Ja, das denke ich auch. Zumal das Bundesverfassungsgericht gefordert hat, dass der Leistungssatz transparent sein soll. Dieses Gutschein-Modell ist alles andere als transparent, weil man überhaupt nicht weiß, was dem einzelnen Kind zugute kommt.

So ist geplant, dass Nachhilfeunterricht nur für die Schüler erfolgen soll, die Probleme haben. Schüler, die etwa von der Realschule auf ein Gymnasium wechseln wollen und dafür einen Förderkurs brauchen, gehen hingegen leer aus. Es wird also nur das Allernotwendigste gemacht. Eine wirkliche Förderung der Kinder sieht anders aus.

Fragen: Fabian Lambeck

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