Tritte wegen drei Euro

Familienstreit mündete in Gewalttaten

  • Lesedauer: 3 Min.
Peter Kirschey aus Berliner Gerichtssälen.
Peter Kirschey aus Berliner Gerichtssälen.

Sie haben gezittert, wenn der Sohn nach Hause kam – vor seinen Wutausbrüchen, vor seinem Hang zur Gewalt. Dabei wollten sie doch nur eine harmonische Familie sein. Nun sehen sich Eltern und Sohn bei Justitia wieder. Vater (54), Mutter (53) und Bruder (27) bitten das Gericht, den 25-jährigen Ferdal nicht mehr freizulassen, damit sie endlich zur Ruhe kommen.

Als Ferdal 14 Jahre alt war, hat alles angefangen, erzählt der Vater, da ist der Junge in schlechte Gesellschaft geraten. Er trank Alkohol und rauchte Cannabis. Und er wurde immer aggressiver, wenn er mal nicht unter Strom stand. Es ging ums Geld, um banale Beträge. Und da sie nicht wollten, dass er Geld für Drogen ausgibt, verweigerten sie es ihm. Dann ging er auf sie los, prügelte um sich, zerschlug das Mobiliar. Einen Beruf hat er nie erlernt, nie gearbeitet, deshalb herrschte bei ihm stets akute Geldknappheit.

Nachbarn beschwerten sich immer wieder über den ständigen Lärm, die demolierten Eingangstüren und die entleerten Briefkästen. Die Familie mied mehr und mehr die Öffentlichkeit. Viermal musste sie die Wohnung wechseln. Weil sie von einem Vermieter einfach auf die Straße gesetzt wurde, landete sie für ein paar Monate im Obdachlosenasyl. Zur Ruhe kam sie nie. Acht Fälle von Gewalt listet die Staatsanwaltschaft auf und erhebt Anklage wegen schweren Raubes und gefährlicher Körperverletzung. Einmal, am 6. Februar 2010, soll er in einem Streit die Mutter zu Boden getreten und ihr eine Schreckschusspistole an den Hals gedrückt haben – wegen drei Euro. Die herbeigerufene Polizei nahm ihn mit und ließ ihn nach ausführlicher Befragung wieder frei. Irgendwann war das Fass übergelaufen und er musste hinter Gittern bleiben. Ernsthaft verletzt wurde bisher niemand, schwere Schäden sind noch nicht verursacht, doch es ist absehbar, dass der Dauerkonflikt irgendwann einmal in eine Tragödie münden wird.

Ferdal, ein schmächtiger unsicher wirkender Mann, weist alle Vorwürfe von sich. Ja, er ist schon mal aufbrausend gewesen, doch Gewalt gegen seine Eltern hat es niemals gegeben, beteuert er. Das sind alles Lügen seiner Eltern, um ihn für immer ins Gefängnis zu bringen. Wir lieben unseren Sohn, sagen Vater und Mutter übereinstimmend, weil wir ihm helfen möchten, soll er nicht weiter frei herumlaufen und unkontrolliert Schaden anrichten. Deshalb hatten sie auch einen Strafantrag wieder zurückgenommen und dann doch wieder gestellt, als die Lage unerträglich wurde.

Die meisten Gewalttaten geschehen nicht auf der Straße sondern in den eigenen vier Wänden, unbeobachtet von der Öffentlichkeit. Es trifft vor allem Kinder oder Ehefrauen. Aber, wie in diesem Fall, auch die Eltern eines erwachsenen Sohnes. Gibt es eine Lösung?

Das Gericht geht davon aus, dass Ferdals Ausbrüche im Zustand verminderter Schuldfähigkeit oder Schuldunfähigkeit erfolgten. Nämlich immer dann, wenn er Entzugserscheinungen hatte. Es strebt deshalb die Einweisung in den Maßregelvollzug an. Er soll nicht ins Gefängnis, sondern in einem gesicherten Krankenhaus von seiner Sucht geheilt werden. Und von seiner Aggressivität. Das scheint die beste Lösung zu sein. Ungeklärt wird bleiben, warum Ferdal einen solchen Weg einschlug und die Eltern hilflos zusehen mussten, wie ihr Sohn nicht mehr zu ihnen fand.

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