Der Physiker als Biologe

Zum 50. Todestag von Erwin Schrödinger

  • Martin Koch
  • Lesedauer: 2 Min.

Er war einer der einflussreichsten Wissenschaftler des 20. Jahrhunderts: der Österreicher Erwin Schrödinger, der 1926 eine Gleichung aufstellte, die heute als die am meisten benutzte in der Physik gilt. Die »Schrödinger-Gleichung« beschreibt als Teil der Quantenmechanik das Verhalten atomarer Systeme und wurde bereits von ihrem Schöpfer zur exakten Berechnung der Energiestufen des Wasserstoffatoms angewandt. Aber auch die chemische Bindung, der radioaktive Zerfall und andere Eigenschaften der Materie lassen sich damit mathematisch elegant erfassen. Im Gegensatz zu Niels Bohr lehnte Schrödinger jedoch die statistische bzw. Kopenhagener Deutung der Quantenmechanik ab. Um seine Kritik anschaulich zu formulieren, ersann er 1935 ein viel diskutiertes Gedankenexperiment, in dem eine Katze, »Schrödingers Katze«, nach der Kopenhagener Deutung vorübergehend tot und lebendig zugleich sein müsste. Bis zuletzt hoffte Schrödinger ebenso wie Einstein, dass die Mikrophysik den klassischen Determinismus wiederbeleben werde. Doch diese Hoffnung erfüllte sich nicht.

1933 erhielt Schrödinger den Physiknobelpreis. Hatte er bis dahin als Nachfolger von Max Planck an der Berliner Universität gelehrt, ging er nach der Machtübernahme der Nazis an das Magdalen College in Oxford und später an das Institute for Advanced Study in Dublin. Hier begann die zweite Blütezeit seines Genies, die 1944 in der Veröffentlichung des Buches »Was ist Leben?« gipfelte. Darin betrachtet Schrödinger, wie es im Untertitel heißt, die lebende Zelle mit den Augen eines Physikers. Als solcher interessierte er sich besonders für die Frage, wie es möglich ist, dass die in Organismen gespeicherte Ordnung über Generationen erhalten bleibt. Denn nach dem 2. Hauptsatz der Thermodynamik passiert in der Natur meistenteils das Gegenteil und vorhandene Ordnung zerfällt spontan. Indem Schrödinger die Gene gleichsam als Hüter der biologischen Ordnung auffasste, lenkte er das Interesse vieler seiner Kollegen auf den damals noch weitgehend unverstandenen Prozess der Vererbung.

Darüber hinaus vertrat er in Anlehnung an den deutschen Biophysiker Max Delbrück die These, dass das Gen ein »Atomverband« sei, der sich als gesonderte Einheit innerhalb der Zelle befinde. Schrödingers Buch fand weltweit zahlreiche Leser. Einer war der US-Biochemiker James D. Watson, der danach unbedingt wissen wollte, wie ein solcher Atomverband aufgebaut ist. Zusammen mit Francis Crick entdeckte er 1953 die Doppelhelixstruktur der DNA.

Schrödinger verließ Irland 1956. Er ging zurück an die Universität seiner Geburtsstadt Wien, wo er am 4. Januar 1961 im Alter von 73 Jahren an Tuberkulose starb.

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