Eins zu Null für Mozart

Johannes Müller zerschreddert mit »Intrigo internazionale« Mozarts Figaro

  • Antje Rößler
  • Lesedauer: 3 Min.

Die internationale, urbane Schickeria gibt sich hier ein Stelldichein: die Herren mit Anzügen und markanten Hornbrillen, die Damen in adretten Minikleidchen. Knisternde Erotik ist nicht zu spüren. Stattdessen erhascht der Zuschauer regelmäßig Blicke auf weibliche Unterhöschen und erlebt eine derbe Kopulation zwischen Susanna und dem Grafen – aufgezeichnet durch eine Wanze im Blumenstrauß. In »Intrigo internazionale« sind nämlich alle Spione, die sich gegenseitig abhören und überwachen. Das Stück – eine Mischung aus Sprech-, Musik- und Tanztheater – wurde im vergangenen Jahr bei den Münchner Opernfestspielen uraufgeführt. Am Donnerstag fand die Berlin-Premiere im Radialsystem statt.

Die Agenten treffen sich mal in einem Büro voller flimmernder Monitore, dann wieder in anonymen Hotelzimmern. Für den Berliner Autor und Regisseur Johannes Müller, Jahrgang 1978, bildet die Intrige den oberflächlichen Anknüpfungspunkt an Mozarts »Figaro«. Das klappt allerdings nur, weil er diesen Begriff so dehnt, dass er Wirtschaftsspionage ebenso umfasst wie private Liebesränke. Motor der Handlung ist die Suche nach einem Koffer, den eine koreanische Top-Agentin in ihrer Gewalt hat. Dramaturgische Durststrecken gibt es jedoch, weil der Zuschauer nie erfährt, was eigentlich in diesem Koffer steckt.

Die losen Verbindungsmomente erheitern hier und da durchaus. Etwa das gleichzeitig gesangs- und spionagetechnische Gebot, »in der Maske« zu bleiben. Insgesamt jedoch ist diese Agenten-Story um Lichtjahre entfernt von dem sozialkritischen Moment der Mozart-Oper. Dort entspinnt sich aus der Intrige eine Entwicklung, die in der berühmten Verzeihungsszene zum gesellschaftlichen Versöhnungsmodell aufgebaut wird.

Bei Müller hingegen kreisen die Personen unaufhörlich im Misstrauen und missbrauchen sich gegenseitig als Mittel zum Zweck. »Wir lieben oder hassen uns, wie es gerade passt«, sagt die Abhör-Kopfhörer tragende Marcellina, bei der die geheimdienstlichen Fäden zusammen laufen. Alle bleiben gefangen in ihrer kümmerlichen Existenz. Ihre Sehnsucht nach Liebe, die sich nur negativ als Eifersucht äußert, bleibt unerfüllt. Daran ändert auch der Einbezug jener Verzeihungsszene nichts.

Auch musikalisch hat »Intrigo internazionale« mit Mozarts Musik so viel zu tun wie Analog-Käse mit echtem Büffel-Mozzarella. Das Orchester ist geschrumpft zu einem Trio aus Oboe, Kontrabass und Klavier oder Hammond-Orgel, das die Partitur ebenso zerschreddert wie der auf der Bühne in Betrieb genommene Aktenvernichter. Dabei sind die teils jazzigen Arrangements von Tobias Schwencke durchaus geistreich. Allzu genau kann man das allerdings nicht verfolgen, da der elektronisch verstärkte Gesang im Vordergrund steht. Das Ensemble aus Sängern sowie singenden Schauspielern und Tänzern war stimmlich nur teilweise überzeugend. Am schönsten gelangen der Sopranistin Herdís Anna Jónasdóttir die Arien der Susanna, während Jill Emerson als Gräfin bei der Intonation schwächelte.

Der Regisseur beschränkt sich auf ein paar Versatzstücke aus der Partitur. Die Löcher zwischen diesen Mozart-Schnipseln füllt er mit Zitaten aus Filmen, Serien, Popmusik und Werbung, deren Auswahl und Folge beliebig wirken.

»Alles ist Fiktion«, ist einer der Schlüsselsätze des Müllerschen Librettos. So lautet wohl auch das ästhetische Credo des Regisseurs, das er auch an Mozarts Oper selbst zur Anwendung bringt. Jedoch misslingt diese »Schredderung«, die das Fiktionale der Oper aufdecken soll. So eigentümlich es ist: Selbst die schlimmste Verballhornung kann der ästhetischen Qualität der Musik Mozarts nichts anhaben. Was der Zuschauer erlebt, läuft der Intention Müllers also entgegen: Nicht der Regisseur zerschreddert die Mozart-Oper, sondern: Mozart vermag sogar in Schnipsel-Form die Produktion Müllers zu zerfleddern. Eins zu Null im Theaterkampf Mozart gegen Müller.

8.1., 20 Uhr, Radialsystem

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