Monetäre Lebenshilfe

Kleinkredite helfen jungen Erwachsenen in Nicaragua, selbstbestimmte Wege zu gehen

  • Willi Volks, Sitio histórico
  • Lesedauer: 6 Min.
Die INKOTA-Partnerorganisation ADDAC unterstützt in Nicaragua Jugendliche in 18 Gemeinden der drei Landkreise Mataguás, San Ramón und Muy Muy im Departamento Matagalpa im Norden des Landes. Dort erhalten junge Erwachsene einen günstigen Kredit, um ein »Kleinunternehmen« gründen und sich somit ein Einkommen schaffen zu können.
Fernando Morales bei der Arbeit an seiner Zuckerrohrpresse. Die Produkte, ob Zuckerrohrsaft oder Zuckkerrohrhonig, verschaffen Morales ein ordentliches Einkommen. Ohne Kleinkredit hätte er sich die Presse nicht leisten können.
Fernando Morales bei der Arbeit an seiner Zuckerrohrpresse. Die Produkte, ob Zuckerrohrsaft oder Zuckkerrohrhonig, verschaffen Morales ein ordentliches Einkommen. Ohne Kleinkredit hätte er sich die Presse nicht leisten können.

Wie so oft in Nicaragua war meine Nacht kurz. Hundegebell und Hahnkrähen haben mich wieder mal zu nachtschlafender Zeit geweckt. Ob dieses »intensiven tierischen Nachtlebens« beschließe ich schließlich aufzustehen. Ich befinde mich im Büro unseres Projektpartners ADDAC in Sitio histórico, wo ich in einem der Zimmer geschlafen habe, die sonst den TechnikerInnen der Organisation, die alle von auswärts kommen, zur Verfügung stehen.

Wenig später trete ich ins Freie und wundere mich über das recht muntere Treiben zu dieser frühen Stunde. Es ist noch nicht einmal fünf Uhr und schon sind vor allem Frauen auf den Beinen, manche kommen hoch zu Ross mit ihren schlafenden Kindern im Arm. Sie führt es zu einem Haus, in dem schon eine Mühle rattert. Dort lassen die Frauen ihren Mais mahlen.

Am Tagesanfang steht die Tortilla-Produktion

Nach etwa einer halben Stunde ist der größte Andrang vorbei und Freddy, der die Mühle bedient hat, findet Zeit, mir etwas über das regsame morgendliche Tun zu erzählen. Zu meiner Überraschung sagt er, dass die Frauen durch die Existenz der Mühle im Dorf morgens etwa eine Stunde länger schlafen könnten. Normalerweise stünden sie bereits gegen drei Uhr auf, um Mais mit ihren Handmühlen zu mahlen, damit sie die Tagesration an Tortillas für ihre großen Familien oder auch für den Verkauf fertigen können. Mit der Elektromühle geht das nun alles schneller und einfacher, deswegen ist der Andrang am Morgen so groß. Freddy wirft deshalb täglich schon gegen halb fünf die Mühle an.

Mir ist inzwischen bewusst, dass auch ich meinen Arbeitstag früher als geplant begonnen habe, denn eigentlich war ich gegen acht Uhr mit Cesar Ochoa verabredet, dem die Mühle gehört. Er ist einer der Jugendlichen, die durch das Projekt von ADDAC einen Kredit erhalten haben. Ich will an diesem Tag einige von ihnen besuchen. Und so gehe ich einige Stunden später nochmals zu dem Haus, in dem jetzt neben der Mühle noch eine kleine Buchhandlung geöffnet hat. Cesar empfängt mich schon und klärt mich auch gleich über die Einrichtungen in seinem Haus auf. Zunächst hat er, jetzt 26 Jahre alt, vor etwa vier Jahren als einer der ersten Jugendlichen einen Kredit für die Maismühle erhalten. Die hatte er in einem gemieteten Raum installiert.

Sein Service, Mais, aber auch Kaffee oder andere Rohprodukte zu mahlen, kam bei den Frauen aus dem Dorf und der Umgebung gut an. So konnte er nicht nur schnell seinen Kredit zurückzahlen, sondern auf dem Grundstück seiner Eltern auch damit beginnen, sich ein kleines Haus zu bauen. Und er hatte auch schnell die Idee zur Einrichtung einer kleinen Buchhandlung, wofür er durch das Projekt einen zweiten Kredit bekam. Eigentlich handelt es sich dabei mehr um einen Laden für Schulbedarf, Spielzeug und sonstige Dinge für den »Kinderalltag«. Der Laden hat aber namensgerecht auch Bücher im Angebot. Auch dieses Geschäft wird gut angenommen, denn es liegt direkt auf dem Weg zur Schule und ist ständig von Kindern und Jugendlichen frequentiert. Kein Wunder, denn die Alternative wäre, mehr als vier Stunden mit dem öffentlichen Bus nach Matagalpa zu fahren, um dort die benötigten Schulsachen einzukaufen.

Diese Busfahrt macht stattdessen Cesar einmal wöchentlich als Einkaufstour, denn für ein eigenes Auto reicht sein Geld noch nicht. Das ist alles in sein Haus geflossen, das lange ein Provisorium war, nun aber vor der Fertigstellung steht. »Hier fühle ich mich wohl, denn die Mühle und der Laden sind ein Service für meine Gemeinde«, sagt er. Außerdem könne er inzwischen mit seinem Freund Freddy zusammenarbeiten, den er für die Mühle angestellt hat. »Zu meinem Glück fehlen mir jetzt nur noch eine Frau und Kinder. Die Kleinen hätten es ja dann zur Schule nicht weit und Schulsachen für sie gebe es auch schon«, meint Cesar schmunzelnd.

Als Dienstleistung für ihre Gemeinde versteht auch Ingrid Centeno ihre kleine Schneiderei, die sie sich von einem Kleinkredit durch ADDAC eingerichtet hat. »Schneiderei« ist eigentlich ein zu großes Wort, denn es handelt sich lediglich um eine Nähmaschine, die bei ihr zu Hause steht und mit der sie vor allem Kinderbekleidung näht. Die Mütter im Dorf freut die günstige Einkaufsmöglichkeit sehr, zumal gern auf ihre Wünsche für die Kleidung ihrer Kinder eingegangen wird.

Der Traum vom Medizinstudium

Ingrid kann sich von ihren Einkünften eine Ausbildung leisten: An den Wochenenden fährt sie nach Matagalpa und studiert dort Theologie. Ihr eigentlicher Traum aber wäre, Medizin zu studieren, meint sie. Und dieser hätte sich um ein Haar auch erfüllt, sogar unentgeltlich. Bei der Prüfung zum Erhalt eines Stipendiums für ein Medizinstudium in Kuba hat ihr nur ein winziger Punkt gefehlt. Man merkt Ingrid beim Erzählen an, dass sie das noch heute schmerzt. Deshalb will sie es noch ein weiteres Mal versuchen. Und falls es dann klappt, wird sie sich von der Theologie verabschieden.

Beim Mittagessen erklärt mir Julio Gómez, der Direktor von ADDAC, dass Ingrid mit ihrer Mutter und zwei Geschwistern in einem reinen Frauenhaushalt lebt und dass die Mutter und die ältere Schwester als Lehrerinnen arbeiten. »Es handelt sich also nicht um eine typische bäuerliche Familie, und auch Ingrid sieht ihre Zukunft sicherlich nicht auf dem Land, auch wenn sie derzeit als stellvertretende Präsidentin der organisierten Jugendlichen in den Projektgemeinden eine ganz wichtige Rolle spielt«, fährt er fort und kommt auf die Kredite zu sprechen. Die überwiegende Mehrzahl dieser Kredite werde von den Jugendlichen genutzt, um sich auf dem Land eine Perspektive zu schaffen, dies sei auch die eigentlich Zielstellung. Aber man schließt auch die Förderung von Jugendlichen nicht aus, die später vielleicht mal ihre Gemeinden verlassen, »denn schließlich ist nicht jeder, der auf dem Lande groß wird, ein geborener Bauer«.

»Typischer für einen Kredit ist eigentlich das, was du auf deinem Teller hast«, meint Julio und klärt mich auf, dass mein köstliches und zartes Stück Hammelfleisch ein Ergebnis von gleich mehreren Kleinkrediten an Jugendliche ist. Eine vierköpfige Gruppe hat einen Kredit für eine Schafhaltung erhalten. Das Schlachten der Tiere und die Vermarktung des Fleisches übernimmt ein anderer Jugendlicher, der für seine Schlachteinrichtung ebenfalls einen Kredit bekam.

Kleinkredite eröffnen große Chancen

Auf unserer Rückfahrt nach Matagalpa machen wir noch einen kleinen Abstecher zu dem kreditunterstützten Projekt einer Zuckerrohrpresse. Und während Fernando Morales, der 23-jährige Besitzer der Presse, diese fortwährend mit Zuckerohr bestückt, stehe ich staunend vor dem überraschend großen wie einfachen Gerät und koste von dem köstlichen Saft, der am Ende der Prozedur herauskommt. Er wird später von Fernando zu Zuckerrohrhonig verarbeitet, den man beispielsweise zum Süßen von vielen Getränken oder auch beim Herstellen von Nussschnitten oder Plätzchen verwenden kann.

Nach unserer Ankunft im Hotel in Matagalpa denke ich noch einmal darüber nach, welche Perspektiven sich Jugendliche mit einem verhältnismäßig kleinen Kredit von etwa 1000 US-Dollar in einem armen Land wie Nicaragua erarbeiten können. Mit diesen Gedanken schlafe ich ein, bis mich morgens gegen vier Uhr das Gekläffe von Hunden weckt.

Der Autor ist Projektreferent bei INKOTA für Zentralamerika.

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