Gert Voss, Harald Schmidt: Lust und Leben und die Liste

Eine Filmpremiere im BE

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 6 Min.
Gert Voss, Harald Schmidt: Lust und Leben und die Liste

In wenigen Wochen, zum 80. Geburtstag des 1989 verstorbenen österreichischen Schriftstellers Thomas Bernhard, wird der Schauspieler Gert Voss in Wien auf der Bühne stehen, im Stück: »Einfach kompliziert«, Regie: Claus Peymann. Dann wird die Aufführung ans Berliner Ensemble kommen. Dort hatte am Donnerstag ein neunzigminütiger Gesprächsfilm Premiere. »Scheitern, scheitern, besser scheitern«, Voss im Erzählrausch mit Harald Schmidt – eine Idee von André Heller, in dessen Haus, am Küchentisch, das Gespräch stattfand. Draußen Hellers Botanischer Garten von Gardone, dessen prächtiges, zwischen Nebeln und Licht aufscheinendes Grün ... Kunstland ... Schönheit als Einladung, miteinander zu reden.

Schmidt ist, wie er nach Ausstrahlung des Films auf der Bühne gesteht, »Groupie«, seit Frühestem ein Voss-Spiel-Pilger. Wollte Voss einst bei der Aufnahmeprüfung unbedingt wie Horst Caspar sprechen (künstlich überspreizte Intonation, so dass der Prüfende fragte, ob Gert überhaupt Deutscher sei), so kopierte der junge Schmidt das Vorbild Voss. Kam dann selber nie über eine Wurzen-Karriere hinaus, die nur in der Kantine zu großem Auftritte führte. Bewarb sich vergeblich an fünfzig (!) Bühnen – so entstand eine »Todesliste«, darauf auch der Name des Thalia-Intendanten Jürgen Flimm, dem Schmidt ebenfalls ein Anstellungsgesuch geschickt hatte. Flimm antwortete nicht. Eines sehr späteren Tages bewarb sich Flimm bei Schmidt, er wollte unbedingt in dessen Late-Night-Show (peinlich genug). Der Brief flog sofort in den Papierkorb. Abarbeiten der »Todesliste«.

Meistens hört Schmidt seinem Gegenüber zu. Anekdote über Anekdote. Es mutet zunächst seltsam an, die Schauspielkunst als lebensgefährliche Arbeit zu bezeichnen. Das ist so, als wolle man, nur weil der Dramatiker Ödön von Horváth von einem herabfallenden Ast erschlagen wurde, auch die schriftstellerische Existenz kurzschlüssig, automatisch als lebensgefährlich bezeichnen. Aber wer Gert Voss in einigen seiner großen Rollen gesehen hat, weiß, was der europäisch vielfach ausgezeichnete Wiener Burgschauspieler meint, wenn er von diesem Streben nach Lebensgefährlichkeit, nach dem Willen zum Außergewöhnlichen spricht.

Für den Zuschauer geht es um den Bannstrahl, den ein Darsteller von der Bühne sendet, dieses Empfinden, dass jeden Moment etwas Unvorhergesehenes geschehen könnte und also jenes eingespielte, zum Repertoire gewordene Als-ob des Theaterspielens aufbreche. Als geschehe der Mord gleich wirklich. Als verbrenne der Schauspieler im Feuer seiner Figur. Als gäbe es nie wieder Deklamation, durchsichtige Schminke, das Empfinden, da würden nur fremde Texte zelebriert. Als seien wir unentrinnbar in die Irrwegen einer Gestalt verheddert, und das eigene Herz schlüge gleichsam mit für die Kunstfigur.

Und der Schauspieler selber? Lebt erst wirklich, wenn er an einer Grenze zwischen Wildnis und Zivilisation, Hingabe und Kontrolle so entlang spielt, als hätte er sie schon überschritten. Wenn Dinge gezeigt, aber deren Geheimnisse nicht verraten werden. Wenn er sich seine eigene Handwerklichkeit nicht mehr wirklich erklären kann. Voss eben.

Der Schauspielkünstler, 1941 in Shanghai geboren, erzählt von einer Existenz auf zunächst mürbenden Wegen durch Provinzen zwischen Konstanz und Braunschweig, eine Existenz, die sich vor allem auf eines ausrichtete: sich in elenden Anpassungsprozessen nicht, wie er einmal sagte, »das eigene Herz zu brechen«. Fast wäre es zerbrochen an fortdauernder Falschbesetzung mit Liebhabern und jungen Schwärmern. Ein Kritiker hatte ihn als Faust gesehen und geschrieben, in der Szene mit der wunderbaren Darstellerin Gretchens habe er sich ein Auge zugehalten, um Voss nicht sehen zu müssen.

Fürs Theater gerettet wurde dieser wohl bedeutendste Spieler seiner Generation durch Konsequenz: irgendwann nur das zu tun, was er vor sich selbst verantworten kann. Die Gestaltungen von Voss erzählen von höchstmöglicher Erwartung: dem Menschen – spielend! – jedes Mal auf eine Weise treu zu bleiben, dass wir dessen Einmaligkeit und Unwiederholbarkeit lieben, sich aber zugleich all das offenbart, was wir in uns so fürchten, hassen, verdrängen. Voss’ Othello: das fremde, staunende Tier, das ohne Talent zum Misstrauen durch die Welt läuft. Der Tschechow’sche Iwanow: vielleicht

der wesenloseste, nebelschwadenhafteste Mensch, den man je auf dem Theater sah. Ibsens Rosmer: straff, streng zum Körper werdende Kälte der ideologischen Verführungskunst. Oder Becketts Hamm: im Putzen einer Blindenbrille liegt die ganze Doppelbödigkeit der Welt. Voss spielt Gestalten, die noch in ihren Untergängen Stehaufmenschen sind, im Großsein schon Angeschlagene. Ein Gaukler aus dem Geberland Kunst. Denn Kunst gibt, und zwar Wahrheit: dem Bösen das Gute, dem Guten das Böse.

Er parodiert im Film wunderbar Claus Peymann, den er für den »größten lebenden Theaterdirektor« hält), und jetzt übertreffen sich Voss und Schmidt in Schilderungen der raffinierten wie von Kindlichkeit durchtränkten Eitelkeit, mit der Peymann sich in Schlussbeifalls-Szenen so auf die Bühne schiebt, dass es unbedingt aussieht, als eei er gegen seinen Willen herausgezerrt worden.

Auch imitiert Voss perfekt den fläzigen, nölenden Zadek, dessen gnadenlose Wahrhaftigkeit er rühmt, etwas angst- und seelengroß Machendes; dieser Regisseur zog seinen Spielern die Hilfsmittel weg, stieß sie gleichsam in eine Nacktheit, in der sie glaubwürdig wurden. Beschreibung auch des raffiniert-naiv-weisen, märchenhaften George Tabori – für Voss »ein Weltwunder, der humanste Mensch am Theater, der scheinbar nur zuhörte, aber dich kühn machte.« Tabori war es, der Becketts Wort von den Steigerungsmöglichkeiten des Scheiterns oft benutzte wie eine eigene Sentenz.

Voss erzählt von den Vorbereitungen auf eine Rolle, von der künstlerischen Partnerschaft vor allem mit Ignaz Kirchner, von den Enttäuschungen mit Peter Stein, der ihn als »Jedermann« nach Salzburg lockte, aber die versprochene Mit-Regie nie antrat. Am Ende sitzen er und Schmidt live auf der BE-Bühne, Hermann Beil verliest – mit den Betonungsschnörkeln des liebwerten schauspielerischen Dilettanten – einen Briefgruß von André Heller.

Claus Peymann philosophiert über den scheinbaren Widerspruch zwischen der Anekdoterei, in der Bühnenmenschen immer wieder schwelgen, und den existentiellen Auslotungen der Kunst, die oft alles andere sind als heiter und leichten Sinns. Aber es steckt just darin tiefe Wahrheit: Zwischen Abgrund-Rand und wieder Abgrund-Rand sitzt ein gut versteckter Gott, der das Leben in die Späße rettet. Auch wenn es oft nur der bitterste Spaß ist. Gert Voss, jetzt einmal mehr bei Peymann, mit Peymann spielend, beschwört eine Kunst, die nichts behauptet, sondern alles erzählt. Und keinen Verrat an der Wahrhaftigkeit übt. Nein, sie hätte nichts zu verraten – außer den Menschen, und den zu verraten, war noch nie eine Kunst.

Bleibt die Frage, wie es überhaupt zu diesem schmucklos glänzenden Film kam. Harald Schmidt: »André Heller ist auf die Idee gekommen, nachdem er Voss als Gast in meiner Sendung sah.« Da kann Claus Peymann, der auch mal in Schmidts Talkshow war, nur verzweifelt bis entrüstet den Kopf über die Ungerechtigkeit der Welt schütteln: »Schade, dass er nicht mich als Gast bei Schmidt gesehen hat!«

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