nd-aktuell.de / 25.01.2011 / Kommentare / Seite 4

Schnellstraße zur Vollbeschäftigung

Ernst Röhl
Flattersatz: Schnellstraße zur Vollbeschäftigung

Eine sportliche Variante der politischen Willensbildung meldet das rumänische Abgeordnetenhaus. Aus Protest gegen das Sparpaket der Bukarester Regierung stürzte sich Adrian Sobaru (40) vom Balkon des Plenarsaals, landete unsanft auf den Tischen der liberalen Fraktion, erlitt Knochenbrüche, kam aber mit dem Leben davon. Sobaru, Techniker eines TV-Teams, das die Debatten filmen sollte, trug zur Feier des Tages ein T-Shirt mit der Aufschrift »Ihr habt unsere Zukunft versaut!« Grund für seine Aktion waren, möglicherweise, finanzielle Schwierigkeiten. Die Arbeitsmarktbehörden hatten ihm die Stütze von 550 Lei (128 Euro) auf 150 Lei (35 Euro) gekürzt. Mandatsträger leisteten Erste Hilfe. Lobenswert!

Todessprünge in Parlamenten, warnen Arbeitsschützer, könnten allerdings demokratische Abläufe empfindlich stören. Deshalb sind im Berliner Reichstag akrobatische Einlagen verpönt. Wer weiß denn, ob nicht auch der deutsche Geringverdiener mit einem Salto mortale liebäugelt, und sei es nur, um in der Sendung »Brisant« groß rauszukommen! Es trifft ja zu, dass jeder fünfte Arbeitnehmer sein Leben im Graubereich des Existenzminimums fristen muss. Es stimmt ja, dass FDP-Gesundheitsexperten für Niedriglöhner weniger Lohn im Krankheitsfall anstreben und FDP-Generalsekretär Lindner, Kosename Bambi, älteren Erwerbslosen das Arbeitslosengeld rigoros zusammenstreichen will.

Doch trotz alledem wird im Schrumpflohn-Country nicht immer nur gekürzt. Millionen Hartz- IV-Hartzis freuen sich auf fünf Euro mehr, die vielleicht schon im nächsten Jahrzehnt wolkenbruchartig auf sie niederprasseln werden. Dieser warme Regen ermutigt sogar die Aktionäre der Deutschen Bank, von Josef Ackermann ein Wachstum ihrer Kapitalvermögen um wenigstens 25 Prozent zu verlangen. Aus derart frohen Botschaften schöpft auch der Aufstocker seine Zuversicht.

Die Deutschen sind optimistisch wie lange nicht mehr. Sie sind, schreibt die WELT, zu einem »Volk von Optimisten mutiert«. Der STERN jauchzt: »Ein Volk dreht auf!« Aus der Finanzkrise ist Deutschland mit einer zauberhaften weißen Weihnacht herausgekommen. Der Ifo-Geschäftsklimaindex ist nicht mehr zu bremsen. Der Dax geht durch die Decke. Die Konjunktur brummt. Deutschland – Wirtschaftswunderland! Die schwarz-gelben Optimisten jubeln, allen voran R. Brüderle (FDP), der Sarrazin der Statistik. Im Rausch seines XXXL-Aufschwungs definiert er den Trend sachlich und, ausnahmsweise, nüchtern so: »Wir sind auf der Schnellstraße zur Vollbeschäftigung!« Ich selbst bin, nebenbei bemerkt, kein großer Sänger, wäre aber bereit, in der Dieter-Bohlen-Show ein Kinderlied darzubieten, das wir in der zweiten deutschen Diktatur gern sangen: »Schön wird die Zukunft sein, Tage voll Sonnenschein für dich und mich …«

Das deutsche Glück ist so grenzenlos und unermesslich, dass der Bundestag eilig eine überparteiliche Kommission mit dem klangschönen Namen »Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität« berief, die nun unvoreingenommen prüft, ob nicht zeitnah »ein Glücksfaktor« ins Bruttoinlandsprodukt (BIP) einberechnet werden sollte. Vollbeschäftigung ist keine Utopie, wenn … ja, wenn die Deutschen das zarte Pflänzchen Aufschwung nicht durch unbesonnene Lohnforderungen abwürgen.

Endlich trägt auch Hartz IV reiche Früchte. Im Vorjahr steckten Bund und Kommunen 49 Milliarden Euro ins Fördern & Fordern. Arbeitsplätze konnten dadurch leider nicht »generiert« werden, doch die Fortbildungsindustrie boomt, und kriminelle Vermittler von Scheinarbeitsstellen nutzen ihre Chance. Die Sozialgerichte versinken in einer Sintflut von Klagen. Unaufhörlich entstehen neue Jobs für Richter und Akten-Ordner.

Da haben wir’s, das Jobwunder! Wenn auch bloß für Juristen. Mein Bewährungshelfer hat nicht immer recht, aber immer öfter. Politik, sagt er, besteht darin, die Leute so elegant zu bescheißen, dass sie denken, sie hätten sich das schon immer so gewünscht.