Wohnungssterben für den Kaiserblick

Am Potsdamer Staudenhof sollen 180 preisgünstige DDR-Plattenbauquartiere verschwinden

  • Wilfried Neiße
  • Lesedauer: 3 Min.
Rauft sich die Haare. Auch sie wird der Kaiserstraße weichen müssen. Das dem Abriss geweihte Haus links und ebenso den Aufbau der kriegszerstörten Nikolaikirche hatte einst die DDR bezahlt.
Rauft sich die Haare. Auch sie wird der Kaiserstraße weichen müssen. Das dem Abriss geweihte Haus links und ebenso den Aufbau der kriegszerstörten Nikolaikirche hatte einst die DDR bezahlt.

Für ein markantes und funktionierendes Bauensemble aus DDR-Zeiten sind die Tage gezählt. Der Plattenbau am Alten Markt 10 soll zugunsten des Neubaus der »Kaiserstraße« fallen. Das Stadtzentrum ist dann um 180 preiswerte Wohnungen ärmer. Denn dieser Block steht dem »Leitbautenkonzept zur Rückgewinnung der historischen Stadtmitte« im Wege. Das wurde im September 2010 gegen die Stimmen der Linkspartei von der Stadtverordnetenversammlung beschlossen. Vorgesehen ist, die DDR-Erinnerung aus dem Potsdamer Stadtzentrum zu tilgen. Es soll sich ein Schönheitsideal durchsetzen, wie es zur Kaiserzeit galt. Und neu gebaut wird dann die alte »Kaiserstraße«.

In die Schlagzeilen kam der Fall, nachdem die Mieterzeitung des städtischen Wohnungsunternehmens Gewoba vor einigen Tagen verkündete, die Beseitigung des markanten Hauses sei in absehbarer Zeit »wirtschaftlich nicht tragbar«. Es gebe den Abriss des Siebengeschossers »weder heute noch morgen und ganz sicher auch nicht übermorgen«. Begründet wurde das mit den Investitionen, die an diesem Ort vorgenommen worden seien und auf deren Rückfluss in Form von Mieten das Unternehmen nicht leichtfertig verzichten könne.

Diese Erklärung schien eine regelrechte Kampfansage an die Stadtpolitik mit ihrer historisierenden Engstirnigkeit. Doch Disziplin ist eine preußische Tugend. Einen Tag später kroch das städtische Unternehmen zu Kreuze und bekannte sich leidenschaftlich zum »Leitbautenkonzept«. Mit der Beruhigungspille, dass der Rausschmiss aus dem Staudenhofgebäude tatsächlich noch etwas auf sich warten lassen würde.

Der Plattenbau und das ihn umschließende Ensemble von Grünanlagen und Kunst war Anfang der 1970er Jahre Symbol einer neuen Stadt und Ausdruck eines tatsächlichen Lebensgefühls. Nach der Wende unterlag der Komplex der Politik der gezielten Vernachlässigung. Nach deren Grundsätzen wird durch Verzicht auf Pflege dafür gesorgt, dass ein Schandfleck entsteht, um ihn danach Schandfleck nennen zu können. Als erstes wurde der Brunnen beseitigt, der Rest wuchs mehr oder weniger von alleine zu.

Aber dessen ungeachtet blieb das Haus ein beliebter Wohnort, von Leerstand keine Rede. Auch wenn er ganz sicher zur »sozialistischen Armutsarchitektur« gezählt wird, wie Fernsehmoderator Günther Jauch einmal formulierte. Nun werden Studenten und Rentner in absehbarer Zeit nicht mehr die wunderbare Aussicht über das Stadtzentrum und die Havel haben.

Für Linksfraktionschef Hans-Jürgen Scharfenberg findet hier erneut die Verdrängung von bezahlbarem durch »hochwertigen«, den Wohlhabenden vorbehaltenen Wohnraum statt. Für die Mieter der 180 Wohnungen am Staudenhof müsste gleichwertiger, das heißt finanzierbarer Wohnraum bereitgestellt werden, und das nicht irgendwo am Stadtrand, sondern auch wieder im Zentrum, forderte er. Die Aussichten dafür sind allerdings minimal, denn wenn die alte »Kaiserstraße« tatsächlich wieder in ihrer ursprünglichen Form gebaut wird, dann nicht mit Sozialwohnungen. Wer sollte die finanzielle Lücke schließen, die zwischen Investorenerwartung und Sozialmiete liegt?

Nicht, dass in Potsdam Geld fehlen würde, wenn der Kaiserblick es verlangt. Für Abermillionen wurde das kurz zuvor erst fertiggestellte Straßendreieck neben der Baustelle des Landtagsneubaus verlegt, weil es dem neuen Landtagsschloss nicht zugemutet werden könnte, um zehn Meter von seinem ursprünglichen Standort verschoben zu werden.

Potsdam ist eine Stadt mit Wohnungsnot. Die Stadtoberen gehen davon aus, dass innerhalb der kommenden zehn Jahre 11 000 neue Wohnungen benötigt werden. Das städtische Unternehmen Gewoba soll davon 1000 bauen. In diese Rechnung ist der Abriss von 180 völlig intakten Wohnungen natürlich eingepasst. Übrigens: Im Jahr der Agonie und des Zusammenbruchs der DDR, also 1989, wurden in Potsdam knapp 1000 neue und bezahlbare Wohnungen an ihre Mieter übergeben – in diesem einen Jahr!

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