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Im kalten Januar 1945

Dorothea Kleine: Ein nachgelassenes Buch der Erinnerungen

  • Hinnerk Einhorn
  • Lesedauer: 3 Min.

Herbstgedanken« oder »Das Leben ein Geschenk« waren Titelvarianten für die Erinnerungen von Dorothea Kleine, die nun nach ihrem Tod (am 9.Januar 2010) erschienen sind. In einem Brief vom 26.12. 2009 hatte sie mir geschrieben: »Ich versuche mein Leben aufzuarbeiten. Es ist auch ein Akt der Selbsterkenntnis und ein weiter Blick auf die Gesellschaft«. – Das Nachdenken über das, was war, was mit uns geschehen ist, bestimmte ohnehin ihr Schreiben in den letzten zwanzig Jahren auf ganz besondere Weise.

Was ihre »Krimis« auszeichnete: Sie waren immer Auseinandersetzungen mit den Fragen, die die Gesellschaft aufwarf. Unvergesslich der Film mit Barbara Sukowa, Matthias Habich und Udo Samel nach Dorothea Kleines Buch »Im Namen der Unschuld«; Thorsten Schulz, der Autor von »Boxhagener Platz« hatte das Szenarium geschrieben. Ein bisschen – sicher der Vergleich ist weit hergeholt – erinnert mich Dorothea Kleines Buch an Kants »Aula«. Denn welchen Weg die 16-jährige D. K. im kalten Januar 1945 als Behüterin ihrer kleinen Schwestern Elisabeth und Johanna auf der Flucht aus Oppeln beginnt, das ist so ein unverwechselbarer DDR-Weg. Wach, verantwortungsbewusst und zielstrebig geht sie voran, begleitet durch vieler aufrechter Menschen Unterstützung. Von der Wäscherin zur Hilfsschwester, zur examinierten Krankenschwester; von der Redakteurin im Gewerkschaftsblatt zur Leiterin der Magdeburger Zweigstelle der »Täglichen Rundschau«, schließlich zur Diplom-Journalistin, Gerichtsreporterin und Schriftstellerin.

Doch Dorothea Kleine schreibt keinen Schlüsselroman, da verbergen sich keine Skandalgeschichten. Liebevolle Porträtskizzen lesen wir vom bekannten Reporter Rudolf Hirsch, von Brigitte Reimann, von Kurt Batt aus dem Hinstorff Verlag und auch von dessen Lektor Heinrich Ehlers, der ihr charmant aber knallhart den Unterschied zwischen Literatur und Journalismus klar machte, denn der Literat müsse in das Wesen eines Menschen vordringen, statt ihn äußerlich zu beschreiben.

Dorothea Kleine war eine erfolgreiche Autorin. »Sie war unser geliebter Mittelpunkt«, sagt die inzwischen große Familie ihrer Schwestern. Auch sei sie als starke Frau in Erinnerung: einfallsreich, mit weiblicher Klugheit und Hartnäckigkeit auf das Wohl ihrer Schriftstellerkollegen im Bezirksverband Cottbus bedacht.

Wie viel Lebenskraft sie das alles gekostet hat, erfahren wir jetzt im Erinnerungsbuch. Wir erleben sie als zaghaft und harmoniebedürftig. Trotz aller harmonischen Kontakte zu den Menschen ihrer Umwelt war sie oft einsam.

Irgendwann in den letzten Jahren hat sie mich mal gefragt, ob sie Druck auf meine politischen Entscheidungen ausgeübt hätte. Das konnte ich verneinen, denn wie viele andere von uns verband mich kritische Solidarität mit dem Land, in welchem ich erfuhr, gebraucht und wertgeschätzt zu sein.

Ingeborg Arlt hat für Dorothea Kleines Erinnerungen ein einfühlsames Vorwort geschrieben. Susanne Lüders, die Nichte der Schriftstellerin, gab das fast vollständige Manuskript heraus und fügte persönliche Erinnerungen an. Sie hat auch eine der Titelvarianten Kleines für das Buch bestimmt, nämlich den Vers von Dylan Thomas »Geh nicht so fügsam in die dunkle Nacht«. Eine gute Wahl sage ich, denn im Bild der Poesie schwingt etwas mit, was diese Lebensbilanz kennzeichnet.

Dorothea Kleine: Geh nicht so fügsam in die dunkle Nacht. Erinnerungen. BS Verlag. 202 S., brosch., 12,90 €.

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