Welt, Geld, Held?

»Khodorkovsky« von Cyril Tuschi

  • Caroline M. Buck
  • Lesedauer: 4 Min.
Chodorkowski zu sowjetischen Zeiten – mit rotem Stern an der Mütze ... Fotos: Berlinale
Chodorkowski zu sowjetischen Zeiten – mit rotem Stern an der Mütze ... Fotos: Berlinale

Dass der Titel dieses Films nicht »Chodorkowski« lautet, ist Programm. Der Berliner Filmemacher Cyril Tuschi, Spross einer russischstämmigen Familie, hat sich auf die Spuren von US-Doku-Provokateur Michael Moore begeben, und ein solch massives Vorbild verlangt nach einer gewissen Internationalität. »Khodorkovsky« also, in der englischen Transkription, und eine englischsprachige Sprecherstimme dazu, die an Tuschis Stelle den Ich-Erzähler abgibt für dessen Suche nach der wirklich wahren Wahrheit über den Ex-Komsomolzen, Ex-Yukos-Boss und heutigen russischen Häftling Michail Chodorkowski.

Joschka Fischer, von Tuschi zu Schröder, Putin und den politischen Entscheidungsprozessen im Hintergrund befragt, befindet, Tuschi sei ein Idealist – und so, wie er das sagt, läge völlig falsch, wer den Begriff als Kompliment verstehen wollte. Die Welt sei nicht so, wie Tuschi sie sich wünsche, sagt Fischer, und Menschenrechte (etwa die Chodorkowskis) könne man schon deshalb nicht mit Gewalt gegen die Interessen Dritter durchsetzen (vermutlich die Putins), weil Gewaltanwendung die Menschenrechte anderer Menschen verletze – ein interessantes Argument, das jeder Intervention zu wessen Unterstützung auch immer von vornherein die Berechtigung abspricht.

Tuschi selbst sieht sich als Realisten, aber ein bisschen Heldenverehrer steckt sicher auch in ihm – obwohl Chodorkowski genau das verköpert – Kapitalismus, wirtschaftlichen Neo-Liberalismus und eine politische Nähe zu Thatcher und Bush Senior –, wovor seine Eltern ihn immer warnten. Dass die Verantwortlichen für den Einbruch, bei dem vor zehn Tagen Computer-Festplatten und sonstige Materialien aus dem Büro von Tuschis Produktionsfirma entwendet wurden, aus dem Lager der Chodorkowski-Anhänger stammen, scheint unwahrscheinlich. Putin ist es, dem Tuschi mit allem gebotenen Misstrauen begegnet, und Putin war für den um Interviews bemühten Moore-Epigonen denn auch nicht zu sprechen – ebensowenig wie Ex-Bundeskanzler Schröder, der russische »Propagandaminister« Surkow oder Anatoly Chubais, in den 90ern zuständig für die Privatisierung sowjetischer Staatsbetriebe.

Mit dem inhaftierten Chodorkowski stand Tuschi in sporadischem Briefkontakt – und durfte ihn am Ende eines Gerichtstermins ein paar Minuten vor der Kamera interviewen. Das ist dann tatsächlich wie ein Moment der Wahrheit: wie ein entspannter Chodorkowski kurz vor der neuerlichen Verurteilung im Dezember 2010 auf Tuschis besorgte Frage antwortet, warum um alles in der Welt er nicht lieber im Ausland geblieben sei im alles entscheidenden Jahr 2003, als nach der Verhaftung des Yukos-Vize-Vorstandsvorsitzenden Platon Lebedew klar war, dass er wohl der nächste sein werde.

Wie Chodorkowski sich da lachend umdreht zu Lebedew, der neben ihm im Glaskasten der Angeklagten sitzt, und selbstironisch urteilt, da sei er wohl etwas zu optimistisch gewesen, was die Unabhängigkeit der russischen Justiz angehe. Und gleich noch ein Sprichwort anfügt: Der kluge Mann findet aus einer schwierigen Situation heraus, der weise Mann gerät gar nicht erst hinein – vielleicht sei er selbst also einfach nicht weise genug gewesen? Da blitzt dasselbe amüsierte Unverständnis auf wie in Tuschis Gespräch mit Joschka Fischer. Was will dieser nette junge Mann von mir, der hier nach meinen Träumen fragt und allen Ernstes hofft, daraus politische Wahrheiten abzulesen?

Bevor es zu diesem Moment kommt, hat Tuschi sich in vielen Gesprächen näher an seinen Protatonisten herangetastet, hat Familienmitglieder und Weggefährten zu Chodorkowskis Plänen und möglichem Vergehen, seinem unternehmerischen Stil und etwaigen politischen Absichten befragt. Chodorkowskis Mutter (die dem verlorenen Sozialprestige mehr nachzutrauern scheint als dem in Sibirien inhaftierten Sohn), dessen erste Frau (an Chodorkowskis zweite Familie kam Tuschi wohl nicht heran), und den in den USA lebenden Sohn aus erster Ehe, der sich erinnert, wie er den Vater vor der Rückkehr nach Russland warnte, kurz vor dessen Inhaftierung. Aber mit dem sei ja wieder nicht zu reden gewesen, der habe sich da jede Einmischung verbeten.

Die meisten Geschäftspartner des einstigen Oligarchen sprach Tuschi im Exil, in London oder Tel Aviv. Zwei berufliche Weggefährten, Leonid Newslin (der beim Europäischen Gerichtshof Schadensersatzforderungen an die russische Regierung einreichte und die ständige Sonne in Israel hasst, aber was will man machen?) und Michail Brudno, der nach den gemachten Erfahrungen nie, nie, niemals nach Russland zurückkehren möchte. Den britischen Unternehmensberater Christian Michel, der die dubiose Preisfindung bei der Privatisierung unter Jelzin damit verteidigt, dass die einzige Alternative darin bestanden hätte, die Öl- und Gasförderung an ausländische Firmen zu verkaufen, um den Weltmarktpreis zu erzielen, denn wer in Russland hätte damals wohl solche Geldsummen aufbringen können? Und den Chef von Chodorkowskis Sicherheitsteam, der sagt, als er seinen Chef sah, wie der im Fernsehen den amtierenden Präsidenten dazu aufrief, sich der Korruption entgegenzustellen, da habe er gewusst, das ist das Ende.

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