Für stufenloses Fahren gibt's ein grünes Fähnchen

Rollstuhlfahrer finden auf der Internetplattform »Wheelmap« barrierefreie Orte in Kiez und Stadt

  • Anna Schürmann, dpa
  • Lesedauer: 3 Min.

Eine hohe Stufe vor einem Café, kein Aufzug im Bürohaus oder eine fehlende Rampe an der S-Bahnstation. Für Rollstuhlfahrer sind dies oft unüberwindbare Hindernisse. Abhilfe soll die Internetplattform »Wheelmap« schaffen. Sie informiert Rollstuhlfahrer, Gehbehinderte oder Familien mit Kinderwagen, an welchen Orten sie mit Behinderungen rechnen müssen. Raúl Krauthausen vom Berliner Verein »Sozialhelden« hatte die Idee zu der Seite, auf der inzwischen mehr als 30 000 Orte weltweit aufgelistet sind.

Ein rotes Fähnchen auf dem virtuellen Stadtplan bedeutet »nicht rollstuhlgerecht«, bei grün können Rollstuhlfahrer den Ort uneingeschränkt nutzen. Den Anstoß zu der Idee lieferte Krauthausen vor zwei Jahren der Satz eines Freundes. »Raúl, ich habe keine Lust, mich mit dir immer in dem gleichen Café zu treffen«, lautete der Seitenhieb in Richtung des 30-Jährigen, der die Glasknochen-Krankheit hat und sein Leben im Rollstuhl verbringt. Aber woher sollten sie wissen, ob ein anderer Treffpunkt auch rollstuhlgerecht ist? Die Lösung: Eine Karte im Internet, die gleichzeitig im Interesse von 1,6 Millionen Rollstuhlfahrern in Deutschland sein könnte.

»Wir wollten es so einfach wie möglich gestalten und den Menschen die Möglichkeit geben, selbst Orte einzutragen«, beschreibt Krauthausen den Anspruch an die Internetseite und traf damit einen Nerv: Pro Tag kommen mehrere hundert Orte in der »Wheelmap« hinzu, vor allem in Berlin. »Betroffene können mitwirken und persönliche Erfahrungen einbringen«, lobt der Berliner Landesbeauftragte für Menschen mit Behinderung, Jürgen Schneider, die Seite. Er stellte auch den Kontakt zu den Machern einer Berliner Mobilitätsdatenbank her, beide Initiativen tauschen inzwischen ihre Informationen aus. »Die Nutzer stellen eher die eigene Nachbarschaft ins Netz: Cafés, Bars, Kinos, Ärzte, Apotheken, alle möglichen öffentlichen Einrichtungen«, so Krauthausen. Auf der Homepage sehen sie, wann ein Ort als barrierefrei gilt. Sind zum Beispiel alle Räume stufenlos erreichbar, winkt ein grünes Fähnchen für »rollstuhlgerecht«. Falsche Angaben sollen die Nutzer nach dem Wikipedia-Prinzip selbst korrigieren.

Die Datenbank enthüllt auch durchaus prominente Orte, die für Rollstuhlfahrer nicht zugänglich sind. Auch alte Gebäude mit vielen Stufen seien schwer zugänglich. »Was bei ›Wheelmap‹ erfasst wird, zeigt sowohl den positiven als auch den negativen Bestand in Berlin. Ich bin dankbar, dass so ein Abbild der Situation geschaffen wird«, so Schneider. Seit September ist »Wheelmap« online, seitdem wird die Software permanent weiterentwickelt. Auf Japanisch, Englisch, Französisch und Italienisch gibt es die Seite schon, an der portugiesischen und spanischen Version wird gerade gefeilt.

Je nach Umfang arbeiten drei bis fünf »Sozialhelden« an »Wheelmap«, die meisten ehrenamtlich. 2004 gründete Krauthausen zusammen mit seinem Cousin den gemeinnützigen Verein. Einen Schub bekam »Wheelmap« durch die eigene kostenlose App für das iPhone. Seitdem hat sich die Zahl der eingetragenen Orte verdoppelt. 10 000 Apps wurden bislang heruntergeladen.

Eines der nächsten Ziele der »Sozialhelden« ist deshalb, das Programm auch für andere Handys nutzbar zu machen. Ein weiteres Vorhaben ist es, mehr Unternehmen zu beraten, wie man Orte rollstuhlgerecht oder barrierefrei umbauen könnte. »Viel passiert auch deshalb nicht, weil Leute nicht wissen, was sie jetzt tun müssen. Da setzen wir an.« Seit Anfang des Jahres arbeitet der 30-Jährige hauptberuflich für die »Sozialhelden«. Seine Stelle als Online-Programmmanager beim RBB-Sender »Fritz« hat Krauthausen aufgegeben, um sich die kommenden drei Jahre ganz dem inzwischen mehrmals ausgezeichneten Projekt zu widmen. Für den Mann mit der Schirmmütze eine »Leidenschaft, die zum Beruf wurde«.

wheelmap.org

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