Fracht für die Raumstation

Nach dem zweiten Startversuch ist der Raumtransporter »Johannes Kepler« auf dem Weg zur ISS

  • Ulf Buschmann, Bremen
  • Lesedauer: 4 Min.

Johannes Kepler gilt als Wegbereiter der modernen Astronomie. Genau 381 Jahre nach seinem Tod wird sein Name in die Erdumlaufbahn getragen: Am Mittwochabend ist die zweite Version des von EADS Astrium in Bremen entwickelten Automatic Transfer Vehicle, kurz ATV, mit einer »Ariane 5« in die Erdumlaufbahn geschossen worden. Das ATV trägt den Namen »Johannes Kepler« und hat Lebensmittel und Ausrüstungsgegenstände für die Internationale Raumstation ISS an Bord.

Als ob man nicht nur an die wissenschaftlichen Leistungen Keplers erinnern wollte, sondern auch das Auf und Ab seiner Biografie im Blick hatte, verlief der Start nicht ohne Tücken. Nach einer Startverschiebung vom Dezember 2010 auf den 15. Februar 2011 hätte es eigentlich bereits am Dienstagabend losgehen sollen. Doch als die Zeit »–4:53« bis zum Start anzeigte, stand die Anzeige für die Systeme plötzlich auf Rot – ein Einlassventil für Flüssigsauerstoff in der Trägerrakete hatte nicht richtig geschlossen. Am Mittwoch ging dann alles glatt und Astriums Vizechef für Trägerraketen Holger Wentscher freute sich genauso über den Start wie die Männer und Frauen des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt und der Europäischen Raumfahrtagentur ESA.

An dieser zweiten ATV-Mission hängt für die ISS wie die ESA einiges: Da sind zuerst einmal so profane Dinge wie Lebensmittel, Ausrüstungsgegenstände und alles Notwendige für neue wissenschaftliche Experimente. Das alles wird im Orbit dringend erwartet. Außerdem ist »Johannes Kepler« in der Lage, die Umlaufbahn der ISS um bis zu 50 Kilometer anzuheben, was eine immer wieder notwendige Maßnahme ist.

Hinzu kommt, dass sich zeigen muss, ob das ATV das ist, was sich die Ingenieure und Raumfahrt-Industrie-Gewaltigen von ihrer Entwicklung versprechen: das auf mittlere bis lange Sicht größte und leistungsfähigste Transportmittel, das es zur Versorgung der ISS gibt. Es geht also auch ums Prestige der ESA. Logisch also, dass dieser 200. Start der »Ariane« einen hohen symbolischen Wert hat. Der unbemannte Raumtransporter, der bei EADS Astrium in Bremen entwickelt und gebaut wurde, ist nicht nur in der Lage, sich seinen Weg zur ISS vollautomatisch zu suchen. Mit sieben Tonnen Nutzlast kann er zudem so viel Fracht in den Orbit transportieren, wie sonst nur noch die außer Dienst gehenden Space Shuttles der USA. Außer dem ATV gibt es ab Mitte des Jahres nur noch den HTV der Japaner, die »Progress«-Transporter der Russen sowie die letzten beiden Shuttle-Flüge.

Vor diesem Hintergrund haben die Partner in Sachen ISS mittel- bis langfristig ein logistisches Problem. Zwar stehen für die Beförderung der ISS-Besatzungen nach wie vor die russischen »Sojus«-Raumschiffe zur Verfügung, wie Astrium-Sprecherin Kirsten Leung sagt. Doch nach dem Ende der Space Shuttles »gibt es derzeit keine Lösung« für den Rücktransport größerer Frachten von der ISS. Daran werde aber gearbeitet, so Leung: Auf der Basis des ATV wird ein ARV, ein Automatic Return Vehicle, entwickelt. Die Grundlagen dafür seien laut Astrium bereits geschaffen worden, erfülle das ATV doch schon jetzt die Sicherheitsvorgaben für die bemannte Raumfahrt.

Trotz der sich langfristig abzeichnenden logistischen Lücke geben sich die Raumfahrt-Verantwortlichen entspannt. So weist Martin Zell, Leiter des ISS-Utilization-Department bei der ESA, darauf hin, dass die »Sojus«-Kapseln für den Crewtransport bereit stünden. Für den Ausrüstungstransport gebe es mittelfristig neben den Japanern und Russen noch die NASA-Initiative für den kommerziellen Transport zur ISS.

Ob die Transporter immer mit der »Ariane« ins All gelangen, steht augenblicklich im wahrsten Sinne des Wortes noch in den Sternen. Wenn die NASA ihre bemannten Flüge nach Ende des Space Shuttle einstellt, möchte sie private Unternehmen ermutigen, Weltraumtaxis auf den Weg zu bringen. Dazu hat es eine Ausschreibung gegeben, an der sich auch Alliant Techsystems, kurz ATK, jenes Unternehmen, das die Feststoffbooster für die Raumfähren produziert, beteiligt. Mit im Boot ist EADS Astrium. Beide Unternehmen möchten eine neue Rakete mit Namen »Liberty« ins All schießen. Dafür greifen sie auf bereits entwickelte oder bewährte Komponenten zurück: unten die fünfsegmentige Stufe der amerikanischen »Ares I« und oben die erste Stufe der »Ariane 5«. Das Ares-Programm ist wegen des großen Lochs im US-amerikanischen Haushalt von der Regierung Obama gestoppt worden. Technisch gesehen sei »Ares I« ein »verlängerter Feststoffbooster des Space-Shuttle-Programms und kam daher schon mehr als 200 Mal zum Einsatz«, ist in der Februar-Ausgabe der »ASTRO-news« zu lesen. Ob AKT und Astrium mit ihrer Idee Erfolg haben, weiß derzeit noch niemand.

Und so schauen die Raumfahrer in Europa vor allem darauf, wie sich »Johannes Kepler« schlägt. Am 24. Februar soll das ATV an die ISS andocken. Dann beginnen das Entladen des Transporters, die Umlaufbahnkorrekturen und die Experimente. Bis Juni soll die Mission abgeschlossen werden. Dann heißt es, allen auf der ISS vorhandenen Müll in das ATV zu packen und zur Erde zurückzuschicken. Beim Wiedereintritt in die Atmosphäre soll »Johannes Kepler« planmäßig verglühen – und mit ihm der Müll aus dem All gleich mit. Zu diesem Zeitpunkt arbeiten die Bremer bereits an der vierten ATV-Mission.

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