Strahlendes Unikat für Lubmin

Zwischenlager beherbergt nun weitaus gefährlicheren Atommüll als zuvor

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In der letzten Woche sorgte der erste Transport von Atommüll aus der Wiederaufbereitungsanlage Karlsruhe nach Lubmin für Aufregung und Protest. Harry Block ist beim BUND Karlsruhe seit 1980 Experte für Sicherheitseinwendungen gegenüber den Betreibern der Karlsruher Anlage. Mit ihm sprach ND-Mitarbeiter Michael Scheuermann.
Strahlendes Unikat für Lubmin

ND: Was ist in der nach Lubmin verfrachteten »Atomsuppe« drin?
Scheuermann: Der Inhalt der dort eingelagerten 128 Glas-Kokillen ist weltweit einmalig. Neben herkömmlichen Radioisotopen aus Brennelementen »normaler« Atomkraftwerke, sind hochstrahlende Rückstände aus zwei abgebauten Karlsruher Versuchsreaktoren und dem Schnellen Brüter Forschungsreaktor enthalten. Die Standzeiten der Brennelemente übersteigen die von Kernkraftwerken um ein Vielfaches. Thorium mit einer Halbwertszeit von 14 Milliarden Jahren, also einem Mehrfachen des Erdalters, ist ebenso drin wie Tritium und Plutonium. Letzteres ist auch noch der giftigste Stoff der Welt. Viele Elemente wurden erzeugt, die es vorher auf der Erde nicht gab. Jetzt hat man die Soße. Als Fluch der bösen Tat strahlen die nach Lubmin verfrachtete Kokillen eine Millionen Mal stärker als alles bisher dort Eingelagerte.

Welchen Stellenwert hat die Wiederaufbereitungsanlage Karlsruhe für den Atomstandort Deutschland?
Nicht nur für Deutschland, weltweit ist Karlsruhe Vorreiter beim Rückbau stillgelegter KKWs und der Beseitigung hochradioaktiven Atommülls. So was hat vorher kein Land versucht. Die Aufsicht über den ersten Totalrückbau der Welt des nur kurz betriebenen bayerischen KKW Niederaichbach in den 1990er Jahren hatte die HAB, die »Hauptabteilung Dekontaminationsbetriebe«, auf dem Gelände der WAK. Das 2005 abgeschaltete KKW Obrigheim ist als nächstes dran. Davor kommt noch der Rückbau der hochverstrahlten Kokillen-Verglasungsanlage – ebenso Neuland. Auch die muss irgendwo endgelagert werden. So entsteht ein fortwährender Kreislauf von Anlagen zur Atommüllbeseitigung, die wiederum Jahrtausende strahlen und in weiteren Anlagen beseitigt werden müssen …

Hat Karlsruhe die Strahlung im Griff?
Karlsruhe ist einziger europäischer Forschungs- und Anwendungsstandort genau für diese Aufgabe. Die HAB reinigt, verbrennt und verdichtet verstrahltes Material vom Reaktorkern bis zur Betonhülle. Einlagerungs- und Entsorgungstechniken werden hier entwickelt und erprobt. Verseuchter Gebäudestahl beispielsweise wird so lange bearbeitet, bis die Strahlung unter der Freigrenze liegt. Danach gelangt er in den normalen Schrottkreislauf und endet womöglich in einer Bratpfanne. Mit genauso strahlenreduziertem Betonhäcksel werden unsere Autobahnen unterfüttert.

Was wird aus dem Abfall, der übrig bleibt?
Höherverstrahltes kommt zu jeweils vier Fässern in einen Betonsarkophag. Geschätzte 250 000 Fässer lagern mittlerweile vor Ort in einer 25 Meter hohen Halle, die nur als Zwischenlager geplant war und heute fast voll ist. Als ich dort vor neun Jahren den Geigerzähler rein hielt, kamen deutlich höhere Strahlenwerte heraus als angegeben. 80 000 Fässer aus Karlsruhe landeten im undichten Salzstock Asse. Tausende von ihnen sind falsch deklariert. Bis heute sind 200 Brennstäbe mit spaltbarem Material, gemäß Protokoll der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA, in Karlsruhe unauffindbar.

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