Elektroschocks und U-Boot-Methode

Eduardo Belgrano Rawson erzählt vom argentinischen Horror

  • Uwe Stolzmann
  • Lesedauer: 3 Min.

PR-Fotos zeigen den Autor als Draufgänger – Silbermähne und buschige Brauen überm hochgestellten Mantelkragen, ein einsamer Wolf, stolz und auffahrend. Im Gespräch wirkt er anders: nachdenklich und ironisch. »Wie jeder gute Mafioso stamme ich von Italienern ab und von Nordamerikanern«, erzählt Eduardo Belgrano Rawson. »Daher der Beiklang meiner Namen.« Rawson wurde 1943 in San Luis geboren, einem Provinznest mit harter Erde und harten Männern, er benennt es deutlich: »am Arsch der Welt«. Als junger Mann zog er nach Buenos Aires, in eine Stadt im Dauerrausch. Er wurde Journalist, dann Schriftsteller. 1974 erschien der erste Roman, und rasch hatte der Autor Erfolg. »Ich versuche Geschichten zu schreiben, die im ersten Moment wie Abenteuerbücher wirken. Einfache Personen gewinnen unverhofft an Bedeutung und verschwinden wieder.«

Belgrano Rawsons literarische Welt, das ist das Irrenhaus lateinamerikanischer Historiographie, in der noch jeder Massenmörder zum Helden avanciert. Eine Welt im Kampf zwischen Barbarei und Zivilisation; der Kampf ist ewig unentschieden, dünn bleibt der Firnis aus Kultur. Im Interview spricht Rawson von den Siebzigern, er erinnert an die Anschläge der Linken – »ich hörte bis zu zehn Bomben in einer Nacht« – und an den Terror der Rechten, das Militärregime. »Ein zufälliges Gespräch in einer Bar konnte dazu führen, dass man noch in derselben Nacht verschwand.«

Sein jüngster Roman – »Die Predigt von La Victoria« (2010) – handelt von zwei Diktaturen, einer überwundenen und einer, die fortdauert. Ein Pärchen steht im Zentrum des Buchs. Nelson, Schüler aus San Luis, trifft ein Mädchen namens Claudia; es ist das Jahr 1989, das sechste Jahr nach dem Rücktritt der Generäle. Gerade verlieben sich die zwei, aber da, eines Nachts nach einem Rendezvous, verschwindet Claudia. Nelson wird verhaftet, er gesteht einen Mord und kommt ins Gefängnis. Neun Jahre später taucht Claudia plötzlich wieder auf, sie war schlicht von daheim geflohen, hatte in der Ferne ein neues Leben begonnen, eine Familie gegründet. Nelson kommt frei, doch was ist das für eine Freiheit – als Wrack, aidskrank und bettelarm.

Andere Figuren treten hinzu, Polizisten, sie waren bis 1983 im Amt, sie sind es noch immer. Auf einer Ebene des Romans lässt der Autor die Beamten im Damals agieren, im Kampf gegen die Subversion. »Sie liebten die Dunkelheit und fuhren in alten Autos ohne Zulassung und ohne Licht.« An Verdächtigen erprobten die Provinzgendarmen alles, was sie bei den Bundesbehörden in Buenos Aires erlernt hatten: Elektroschocks und U-Boot-Methode, Scheinhinrichtungen, es kann einem übel werden bei der Lektüre. Und wenn es sie überkam, haben die Männer ganz schnell scharf geschossen, nachts auf einer Halde, im Licht ihrer Autoscheinwerfer.

Auf der zweiten Ebene, in der Gegenwart, nehmen dieselben Männer den Jungen Nelson in die Mangel, den Mordverdächtigen, mit Elektroschocks, U-Boot und so weiter, bis er gesteht, was sie hören wollen. Die Botschaft des Textes? Scheint so banal wie schockierend. Der erste Satz im Buch ist schlimm, eine Warnung des Verfassers: »In diesem Roman gibt es wenig Erfundenes.« Und im Gespräch sagt Belgrano Rawson: »Wir können nicht an die Zukunft denken, wenn wir uns nicht frei machen von der Vergangenheit. Doch danach schaut es nicht aus.« Denn viele Landsleute, glaubt der Erzähler, waren Komplizen der Diktatur. »Sie haben ein solches Regime zugelassen. Wie einstmals die Deutschen.«

Eduardo Belgrano Rawson: Die Predigt von La Victoria. Roman. Aus dem Spanischen von Enno Petermann. C .H.Beck. 302 S., geb., 19,95 €.

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