Papa macht das schon

Guttenberg, Gauck, Obama: Warum Charismatiker die Massen begeistern

  • Walter Schmidt
  • Lesedauer: 5 Min.

Fast wütend reagieren die Anhänger des zurückgetretenen Bundesverteidigungsministers Karl-Theodor zu Guttenberg auf den – zumindest vorläufigen – Rückzug ihres Idols aus der Politik. Hunderttausende sammeln sich im Internet zu welcher Form des Protests auch immer. Auf der Kontaktplattform Facebook erreichte eine Unterstützergruppe innerhalb eines Tages eine Stärke mehreren hunderttausend Mitgliedern – falls dieser Begriff hier taugt.

Offensichtlich bedauern diese Menschen es, dass jemand zurücktreten musste, der allem Anschein nach geistiges Eigentum anderer in großem Stil gestohlen hat und auch den steuerfinanzierten Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages für seine privaten Zwecke eingespannt hat. Viele Menschen wollen Guttenberg zurück – oder wenigstens ihre in ihn gesetzten Hoffnungen.

Erinnert sich noch jemand an die Begeisterung für den Präsidentschaftskandidaten Joachim Gauck, der am Ende – trotz großen Rückhalts in der Bevölkerung – gegen den vergleichsweise unscheinbar wirkenden heutigen Amtsinhaber Christian Wulff unterlegen ist? Gauck gehört zur seltenen Spezies der Menschenfischer – er wirkt enorm auf seine Umgebung. Völlig zu Recht schrieb der Journalist Thomas Steinfeld in der Süddeutschen Zeitung vom 16. Juni 2010 über Gaucks Beliebtheit: »Wie ein Magnet zieht er jetzt die frei flottierenden Sehnsüchte nach dem Typus des charismatischen Politikers an, den es in der Politik selbst nicht mehr gibt.«

Und dann erst Barack Obama. Man brauchte bis vor zwei Jahren nur in die Gesichter seiner Anhänger zu blicken: Tränen der Rührung, nach jedem zweiten Satz des großen, schlaksigen Mannes oben auf der Redner-Bühne nickten die Menschen voller Inbrunst, die Augen aufgerissen, als offenbare sich in diesem Moment etwas Gewaltiges, ein Mysterium. Keine Frage – Obama war ein Hoffnungsträger. Die Menschen scheinen Wunderdinge von ihm erwartet zu haben, und weil der frischgekürte US-Präsident dies spürte, versuchte er seine Anhänger am 4. November 2008, in der Stunde des Triumphes, im zu beschwichtigen. Er ahnte: Seine Fallhöhe, die Fallhöhe der in ihn gesetzten Hoffnungen, war riesig. Doch woher kommen diese hohen Erwartungen an Charismatiker wie ihn? Mit Sicherheit nicht nur aus der maßlosen Enttäuschung über George W. Bush oder – im Falle Gaucks und Guttenbergs – über die vielen grauen Mäuse in der deutschen Politik mit ihren allzu menschlichen Schwächen. Millionen Hoffnungsvolle auf der ganzen Welt sind zu jedem Zeitpunkt gutmeinenden oder böswilligen Führer-Figuren verfallen, seien es Machthaber, Gurus, religiöse Oberhäupter oder Sinnstifter anderer Art.

Doch warum schlagen die Herzen so vieler Menschen für Führerfiguren – für charismatische Politiker, Philosophen, Therapeuten oder Autoren, die sie blindlings bewundern. »Die Sehnsucht nach einem guten, weisen Führer ist eigentlich eine Regression, ein Zurückfallen auf eine kindliche Stufe«, sagt Hans-Jürgen Wirth, der als Psychotherapeut, Psychoanalytiker und Autor (»Narzissmus und Macht«) in Gießen arbeitet. In der Kinderzeit seien es die Eltern gewesen, »die das Leben geordnet haben, die man um Rat fragen, denen man vertrauen konnte«. Doch auch Erwachsene sehnten sich nach jemandem »mit natürlicher Autorität«, der das Leben ordnet und alles im Staat richtet. »Es geht hier um eine Sehnsucht nach Orientierung, aber auch danach, selber in einer kindlichen Position zu verharren und Elternfiguren zu haben, einen König, einen guten Führer, der weiß, wo es lang geht, der die Entscheidungen fällt und dabei verantwortungsvoll und wohlwollend vorgeht«, sagt Wirth.

Der kindliche Wunsch nach edler Führung funktioniert aber schon deshalb nicht, »weil die Herrscher möglicherweise ihre Machtposition ausnutzen und gar keine so guten Eltern sind« (Wirth). Psychologisch richtig interessant wird es, wenn die »guten« Führer, in die man so viel Vertrauen gesetzt hat, sich als schwach und überfordert erweisen oder gar in die eigene Tasche wirtschaften – wenn sie also menschliche Makel zeigen. Der Hass auf Politiker, so Wirth, erwachse »zum Teil aus der Enttäuschung, dass Kompromisse und Prozesse, wie sie für die Demokratie charakteristisch sind, so mühsam zu erzielen sind und es immer so viel Streit gibt«. Wenn selbst um so läppisch wirkende Themen wie seinerzeit das Dosenpfand jahrelang gerungen wird, wundert es nicht, dass nicht wenige Menschen sich den Anführer wünschen, der »endlich mal mit harter Hand durchgreift«, wie es an Stammtischen gerne heißt. Der Ruf nach ihm hat seine Ursache in dem »Wunsch nach Eindeutigkeit, dem Wunsch, Verantwortung abzugeben, dem Bedürfnis bei einer allmächtigen Elternfigur gut aufgehoben zu sein, selbst wenn man unter den Entscheidungen dieser Führerfiguren zu leiden hat«, urteilt Wirth.

Greift ein brutaler Führer dann wirklich nach der Macht, heißt es bald, wo gehobelt werde, da fallen auch Späne. Sind seine Verehrer blind? »Manche Menschen ignorieren, verharmlosen oder rechtfertigen die Schattenseiten, obwohl sie diese durchaus sehen«, sagt Siegfried Preiser, Gründungsrektor der neuen Psychologischen Hochschule Berlin. Dann heißt es oft: »Das hat Hitler sicher nicht gewusst«, oder: »Stalin ist dazu gedrängt worden«. Die Schattenseiten würden untergewichtet zugunsten übergeordneter Ziele und Werte oder zugunsten der Bewunderung.

Dass die Wahrheit schnell auf der Strecke bleibt, wenn charismatische Führer ihre Gefolgschaft verzaubern, hat schon einer der Väter der Massenpsychologie, der Franzose Gustave Le Bon (1841 bis 1931) erkannt. »Nie haben die Massen nach Wahrheit gedürstet. Von den Tatsachen, die ihnen missfallen, wenden sie sich ab und ziehen es vor, den Irrtum zu vergöttern, wenn er sie zu verführen vermag. Wer sie zu täuschen versteht, wird leicht ihr Herr, wer sie aufzuklären sucht, stets ihr Opfer«, schrieb der Arzt und Autor des 1895 erschienen und Standardwerkes »Psychologie der Massen«.

Der Wunsch, über die Bewunderung eines Führers oder einer strahlenden Nation (USA als »Gottes eigenes Land«) eins zu werden mit etwas Größerem, steht für ein grundsätzliches Dilemma des reifenden Menschen auf dem Weg zum Individuum: »Der Einzelne will sich seiner Einzigartigkeit bewusst sein«, sagt Hans-Jürgen Wirth. »Gleichzeitig ist es aber unmöglich, eine Identität ohne Kontakte zu Anderen zu entwickeln – am Anfang in der Familie, später und über das ganze Leben hinweg durch die Identifikation mit unterschiedlichsten, nahen und fernen, kleinen und großen Gruppen: vom Fußballverein über die Berufsgruppe und Partei bis zur Nation oder Religionsgemeinschaft.« Dieses Dilemma machen sich auch »politische Lichtgestalten« vom Schlage Karl Theodor zu Guttenbergs zunutze.

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