Die Araber stimmen zu – wirklich?

Der Luftkrieg gegen Libyen stößt trotz des Votums der Arabischen Liga auf herbe Kritik

  • Roland Etzel
  • Lesedauer: 5 Min.
Libyen erlebt derzeit die schlimmsten Bombardements seit dem Beginn der US-Aggression gegen Irak im März 2003. Die Initiatoren des Krieges legitimieren ihr Handeln auch mit einer Zustimmung der anderen arabischen Staaten zu ihrem Handeln. Ist das tatsächlich so?

Es war ein Novum, dass die Arabische Liga den UN-Sicherheitsrat aufforderte, eine Flugverbotszone gegen ein – wenn auch derzeit suspendiertes – Mitglied ihres Staatenbundes zu verhängen. Seziert man den Ligabeschluss, stellt sich heraus, dass die meisten der 22 Ligamitglieder nicht anwesend waren, sich der Stimme enthielten oder dagegen votierten. Am Ende waren es nur neun Ja-Stimmen für den Beschluss.

Ob nach der ersten Woche Luftkrieg noch einmal so viele zusammenkommen würden, steht dahin. Die ausweichenden Antworten des Liga-Generalsekretärs Amre Mussa (Ägypten) legen die Vermutung nahe, dass es nicht so wäre. Die arabischen Staatschefs fürchten wohl zu recht, dass ihre Volksmassen, die ihnen im Moment so genau nicht zuhören, überhaupt nicht damit einverstanden sind, was die Westmächte gegen Libyen inszenieren. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon, ein mehr oder weniger offener Befürworter des Überfalls auf Libyen, bekam das bereits am Montag zu spüren, als er in offensichtlicher Fehleinschätzung der Stimmung in Ägypten von Demonstranten auf dem Tahrir-Platz in Kairo mit Steinwürfen empfangen wurde.

»Die Araber stehen dieser äußeren Einmischung in einen Bürgerkrieg sehr kritisch gegenüber«, sagt der in Berlin lebende arabische Publizist Issam Haddad. Besonders die Anmaßung Frankreichs, als einst blutige Kolonialmacht in den Ländern südlich und westlich Libyens jetzt wieder den Scharfrichter in der Region spielen zu wollen, komme sehr schlecht an. »Aber«, so merkt Haddad an, »das Unbehagen über französische und auch britische Anmaßung darf nicht automatisch als Sympathie für Gaddafi gewertet werden.«

Eine ähnliche Einschätzung trifft das Vorstandsmitglied des Arabischen Publizistenvereins in Deutschland für die arabische Presse. Ob »Al-Safir« (Beirut) oder »Al-Shuruq« (Kairo) – die meistzitierten Blätter der arabischen Welt fahren scharfe Attacken gegen die westliche Kriegskoalition, vor allem Frankreich, ohne dabei den libyschen Staatschef Muammar al-Gaddafi zu verteidigen. Anders als die meisten Medien in Europa zögen nicht wenige arabische Kommentatoren Vergleiche mit der saudischen Invasion in Bahrain und den Massakern an Demonstranten in Jemen heran und fragten, wo hier der britisch-französische Empörungsschrei geblieben sei. Viel klarer als hierzulande wird darauf verwiesen, dass Frankreich offensichtlich plant, den Osten Libyens einschließlich der Kufra-Oasen abzuspalten.

Ganz anders betrachtet das weltweit bekannteste arabische Medium die Libyen-Krise. »Al Dschasira TV« aus Katar hat sich von Anfang an den Rebellen als Sprachrohr zur Verfügung gestellt und sich sehr dicht an der französischen Argumentation orientiert. Dagegen gibt es aber innerhalb des Senders, so Haddad, auch kritische Stimmen. Sie fragen: Wie unabhängig ist »Al Dschasira« noch?


Zur Person: General Carter F. Ham

Obwohl die Bundesregierung der Libyen-Resolution im UN-Sicherheitsrat und damit einem Kriegseinsatz die Zustimmung verweigert hat, wurden die andauernden Luftangriffe von Kampfjets und Marschflugkörpern bisher vom Südwesten Deutschlands aus koordiniert. In Möhringen bei Stuttgart hat das Afrika-Kommando der US-Streitkräfte (AFRICOM) sein Hauptquartier. Das jüngste der insgesamt sechs Regionalkommandos des Pentagon ist für die Beziehungen der US-Armee mit 53 afrikanischen Staaten zuständig und steuert, abgesehen von Ägypten, alle militärischen Aktivitäten der Supermacht auf dem schwarzen Kontinent. Oberkommandierender dort ist seit nicht einmal vier Wochen General Carter F. Ham – zuvor Befehlshaber aller US-Soldaten in Europa und einer der »untypischsten Generäle«, die es derzeit in der Army gebe, wie es im Radiosender NPR hieß.

Der 59-Jährige aus Cleveland im Bundesstaat Ohio sei immer ein bodenständiger Kerl geblieben und beliebt bei der Truppe. Er war in den 70er Jahren Gefreiter bei den Fallschirmjägern, ging dann zur Universität, absolvierte die Militärakademie mit Auszeichnung und stieg anschließend bis zum Vier-Sterne-General auf. Wiederholt war er auch in Deutschland stationiert. Ham beriet die saudi-arabischen Streitkräfte, kommandierte Truppen im nordirakischen Mossul und gab zu, nach diesem Einsatz psychologische Hilfe in Anspruch genommen zu haben. Auch das untypisch für die US-Armee.

In seiner Laufbahn hat Ham bei den Vereinten Generalstäben in Washington auch schon einmal die weltweiten Militäroperationen der USA beaufsichtigt. AFRICOM koordiniert jetzt erstmals seit seiner Gründung im Jahr 2008 einen Kriegseinsatz – natürlich nur, um Zivilisten zu schützen. »Wir haben keinen Militäreinsatz, die Opposition zu unterstützen«, sagt der General, der auch ankündigte, dass die USA schon bald das Libyen-Kommando abgeben würden.
Olaf Standke

Hoher Preis für Bomben auf Libyen: Militäreinsatz kostet Millionen Dollar

Das von den USA, Frankreich und Großbritannien angeführte Bündnis bombardierte am Donnerstag unter anderem einen Armeestützpunkt bei Tadschura etwa 30 Kilometer östlich von Tripolis. Wie die libysche Nachrichtenagentur JANA meldete, wurden dabei ein Wohnviertel getroffen und »eine beträchtliche Zahl« Zivilisten getötet. Frankreichs Außenminister Alain Juppé widersprach dem.

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Aus Sabha hieß es, die Luftangriffe hätten mitunter eine Stunde lang angehalten. Die Wüstenstadt rund 750 Kilometer südlich von Tripolis gilt als Hochburg von Staatschef Muammar al-Gaddafi.

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Die Streitkräfte Gaddafis setzten ihre Attacken auf Misratah fort. In der Nacht zu Donnerstag waren erneut Panzer in die drittgrößte Stadt des Landes eingerückt.

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Die Kosten der Libyen-Militäraktion sind hoch. Nach manchen Expertenschätzungen kostet die Einrichtung einer begrenzten Flugverbotszone wie die in Libyen über stärker besiedelten Gebieten zwischen 30 und 100 Millionen Dollar pro Woche, konkrete Zahlen gibt es allerdings bisher nicht.

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Eine Kommandostruktur für einen möglichen Einsatz der NATO in Libyen nimmt offenbar langsam Konturen an. Die Kommandos für die täglichen Einsätze sollten sich auf dem NATO-Stützpunkt in Neapel und auf dem Stützpunkt im norditalienischen Poggio Renatico befinden, hieß es in Brüssel. Der Gesamteinsatz solle im militärischen NATO-Hauptquartier Mons (Belgien) überwacht werden.

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Das türkische Parlament hat einen Einsatz der Marine zur Kontrolle des Waffenembargos gegen Libyen genehmigt. Die Abgeordneten hätten dem in einer nicht öffentlichen Sitzung mehrheitlich zugestimmt, hieß es. Damit kann sich die Türkei mit fünf Marineschiffen und einem U-Boot an der Durchsetzung des Embargos beteiligen.

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»Bürgerkriegsflüchtlinge, wie wir sie eventuell aus Libyen zu erwarten haben, sind Flüchtlinge, die unserer Solidarität bedürfen«, sagte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) am Donnerstag in einer Regierungserklärung im Bundestag.

Agenturen/ND

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