Ein Gesetz, das es eigentlich gar nicht gibt

Versammlungsrecht: Sachsens CDU/FDP-Regierung droht Pleite vor dem Verfassungsgericht

  • Hendrik Lasch, Leipzig
  • Lesedauer: 2 Min.
Mit einem geänderten Versammlungsgesetz wollte Schwarz-Gelb in Sachsen Neonazi-Aufmärsche in Dresden unterbinden. Doch in der Praxis wird das Gesetz bisher nicht angewendet; vor Gericht droht es nun zu scheitern.

Darf Sachsen an Orten wie dem Völkerschlachtdenkmal in Leipzig oder um die Dresdner Frauenkirche Demonstrationen untersagen; dürfen Aufmärsche in der gesamten Innenstadt von Dresden an den Jahrestagen der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg eingeschränkt werden, und dürfen die Kommunen weitere Beschränkungen für Versammlungen erlassen? Heikle juristische Fragen, die sich nach der Verabschiedung eines neuen sächsischen Versammlungsgesetzes im Januar 2010 stellten – die aber in der Verhandlung gestern vor dem Leipziger Verfassungsgericht keine Rolle spielten. Dort hatten LINKE, SPD und Grüne geklagt, und es deutet alles auf einen Erfolg hin: Offenbar verstieß bereits die Art, wie das Gesetz zustande kam, gegen die Verfassung.

Das neue Gesetz wurde im Eiltempo durchs Parlament gedrückt; es sollte am 13. Februar 2010 gegen geplante Nazi-Aufmärsche genutzt werden können. In der Vorlage wurde deshalb auf das Bundesgesetz verwiesen; lediglich ein Paragraf wurde neu gefasst. Damit aber sei gegen das »Transparenzgebot« verstoßen worden, argumentiert der Rechtswissenschaftler Ralf Poscher, der die Klage vertritt: Die Abgeordneten erhielten nicht alle notwendigen Informationen. Zudem hätten sie keine Änderungsanträge zu Paragrafen des Bundesgesetzes stellen dürfen, betont Klaus Bartl (LINKE). Dort finden sich Aufgabenzuweisungen an den Bundesinnenminister, die der Freistaat nun faktisch übernommen hat – obwohl er dem Berliner Minister keine Order erteilen darf.

Das Gericht hatte mit seiner Beschränkung der Verhandlung auf derlei formale Fragen bereits angedeutet, dass es die Bedenken der Kläger teilen könnte. In der Verhandlung wurden zudem groteske Pannen bei der Ausfertigung und Veröffentlichung des Gesetzes bekannt. So zeichneten Landtagspräsident und Ministerpräsident nur den geänderten Paragrafen ab; der Verweis auf die Übernahme des Bundesgesetzes wurde nicht signiert. Ein Vertreter des Landtags begründete die Panne mit »redaktionellen Fehlern«. Poscher indes sagt: »Wir reden über ein Gesetz, das es faktisch gar nicht gibt und das nicht gerettet werden kann.«

Beobachter rechnen nun damit, dass die Richter das Gesetz bei der Urteilsverkündung, die für den 19. April angesetzt ist, durchfallen lassen werden. Die Koalition könnte es dann mit gleichem Inhalt, aber im korrekten Verfahren erneut beschließen lassen. »Dann sehen wir uns bald hier wieder«, kündigte Bartl im Gericht an. Praktisch, sagte der Grüne Johannes Lichdi, sei das Gesetz laut Auskunft der Regierung bisher gar nicht angewendet worden: »Es ist untauglich.«

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