250 000 machten den Tories die Hölle heiß

Bislang größter Protestmarsch gegen die konservative Regierung in London / Labour sammelt Pluspunkte

  • Ian King, London
  • Lesedauer: 3 Min.
Gerufen hatte der britische Gewerkschaftsbund TUC unter Generalsekretär Brendan Barber. Die Organisatoren erwarteten 100 000 Protestler: Es kamen nach Polizeiangaben zweieinhalb Mal so viele.

Sie strömten am Sonnabend in schier endlosen Reihen vom Themse-Ufer zur Kundgebung im Hyde Park. Krankenschwestern, Feuerwehrleute, Ärzte, Lehrer, Müllleute, Studenten, Mütter mit Säuglingen, Bibliotheks-, Museen- oder Schwimmbadnutzer. Nicht nur Linke. Ein Querschnitt der von den drakonischen Regierungskürzungen verärgerten britischen Bevölkerung sammelte sich unter dem Slogan »Die Alternative«.

Kein Wunder. Polly Toynbee vom linksliberalen »Guardian« hatte vor der Kundgebung ausgerechnet, dass die Kürzungen jeden Haushalt mit durchschnittlich 750 Pfund belasten werden, die Ärmsten werden prozentual am schlimmsten leiden.

Premierminister David Cameron und Finanzminister George Osborne wollen, dass karitative Organisationen viele bisher staatliche Tätigkeiten übernehmen. Doch Toynbee sagt voraus, dass etwa ein Drittel aller Wohltätigkeitseinrichtungen wegen der Streichungen dichtmachen müssen.

Hauptstreitpunkt in der britischen Politik ist das vor allem durch die Unfähigkeit der Bankiers verursachte horrende Staatsdefizit. Die Tories und ihre liberalen Koalitionspartner wollen es innerhalb einer einzigen Legislaturperiode ganz abschaffen, Labour es aus Angst vor einer langen Flaute lieber nur halbieren. Immerhin macht der Unterschied 40 Milliarden Pfund aus, ist also kein Pappenstiel. Da konnte Labour-Chef Ed Miliband den Demonstranten guten Gewissens erzählen, seine Partei biete eine politische Alternative zur »zu schnellen, zu harten« Linie der Tories.

Die Gewerkschaftsführer, die weniger Rücksicht auf die Wähler der Mitte nehmen müssen, gingen in ihren Beiträgen eine ganze Ecke weiter. »Wir werden die rücksichtslosen Kürzungen bekämpfen, um den Sozialstaat und Hunderttausende Arbeitsplätze zu retten«, versprach Barber vom TUC. Sein Kollege Len McCluskey von der Gewerkschaft Unite, deren Mitglieder oft schlecht bezahlte Angestellte im öffentlichen Dienst sind, wandte sich gegen Steuervermeidung durch Wohlhabende und Großfirmen: Hier könnte seiner Ansicht nach entschlossenes Regierungshandeln 25 Milliarden an der Staatskasse vorbeigeschleuste Pfund pro Jahr wieder einholen.

Neben dem friedlichen Protest gab es in London auch Krawalle. Geschäfte an den Einkaufsmeilen Piccadilly und Oxford Street wurden attackiert. Mehr als 200 Personen wurden festgenommen. Am Sonntag gab es zum Teil Kritik an der Polizei, die mit mit etwa 4500 Beamten im Einsatz war.

Konservative Politiker spielten alle Gewaltszenen hoch, ignorierten hingegen den berechtigten Zorn vieler Demonstranten. Dabei pfeifen die Spatzen von den Londoner Dächern, dass das Defizit den Tories nur als willkommener Vorwand dient, um die Axt an die Wurzeln des Sozialstaates zu legen. Schlimmer noch: Trotz aller Versprechungen von Regierungschef Cameron, den von den Briten mit einer Zustimmungsrate von 72 Prozent unterstützten, steuerfinanzierten Nationalen Gesundheitsdienst vor Kürzungen zu schützen, will sein umtriebiger Gesundheitsminister Andrew Lansley das schon unter Labour von Marktreformen gebeutelten System noch viel weiter in Richtung Privatisierung treiben. Geldgierige US-Gesundheitsdienstleister lauern auf fette Beute. Auch dagegen wurde protestiert.

Fazit: Der Londoner Trafalgar Square ist nicht der Tahrir-Platz von Kairo. Hier ist keine Revolution im Schwange. Aber die konservativ-liberale Regierung wirkt auf ihrem ideologischen Kreuzzug gegen öffentliche Dienstleistungen für die Gesellschaft zunehmend isolierter. Labour-Chef Miliband machte bei der größten Zuhörerzahl seines Lebens eine gute Figur: Mindestens in Umrissen wird eine Gegenstrategie sichtbar. Auch wenn Cameron und Osborne die Augen davor verschließen.

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