Bitteres Kiezporträt

Die Neuköllner Oper sucht mit »Discount Diaspora« nach einem Volksstück

  • Volkmar Draeger
  • Lesedauer: 3 Min.
Auf der Bühne der Neuköllner Oper
Auf der Bühne der Neuköllner Oper

Räumungsverkauf, so steht es am wohl einzigen Nobelladen in der Karl-Marx-Straße. Bisher boten die ganz aparte Klamotten. Aber im Problemkiez Neukölln rechnet sich das offenbar nicht, nicht einmal in der pulsierenden Magistrale. Gleich nebenan hat in einem rückgesetzten Prachtbau die Neuköllner Oper ihr Domizil, und die hat sich des Lebensgefühls und der Lebensumstände jenes Stadtbezirks nun im Genre der Oper angenommen. Nicht der etwa Verdis und Wagners, eher schon orientiert an Brecht/Weills Wurf »Die Dreigroschenoper«. Also engagiert sozialkritisch.

Feridun Zaimoglu, Schriftsteller, Drehbuchautor, Journalist, und sein ständiger Co Günter Senkel, Schriftsteller auch er, konnten als Textautoren gewonnen werden, die Musik schrieb dem türkisch-deutschen Autoren-Doppel das in Rock, Jazz, Hip Hop, Theater erprobte indischstämmige Brüderpaar Vivan und Ketun Bhatti. Der guten, Neukölln-typischen Durchmischung der Nationen passt sich der deutsch-montenegrinische Tenor Alexander Nikolic an, obzwar sonst als »goldene Stimme aus Kreuzberg« apostrophiert. Mit sechs weiteren, deutschen Spielern trägt er 90 Minuten lang Markus Heinzelmanns Inszenierung »Discount Diaspora«.

Um den Ausverkauf von Grundstücken durch skrupellose Spekulanten geht es darin und den Schwund dessen, was Neukölln ausmacht: das multikulturelle, wenngleich nicht reibungslose Miteinander. Vera Römer und Gregor Wickert haben dafür eine Schrägdekoration gebaut: Parterreladen und Wohnung darüber, eingekeilt von Fassaden mit Balkon. Beim Weg in die Oper hat man das genauso gesehen. Auch die Charaktere mögen Neukölln vom Maul abgeschaut sein. Massen wälzen sich durch die Gassen, schimpft Dorothee, die, mit silbergesäumter deutscher Flagge über der Brüstung, einen der Balkone ihr eigen nennt. Die Ausländer als Pöbel beschimpft und als unsere Besatzer und meint, das Deutsche sei eh besiegt. Und die später zur Klavierlehrerin mutiert.

Aufgenommen hat sie bei sich Sandy, ein Kind des Ostens, die Straßenprostituierte, die all ihre Konkurrentinnen weggebissen hat, nach Dorothees »gutem« Rat.

Im Parterre betreibt Omar mehr schlecht als recht seinen Laden, ständig vom Konkurs bedroht; drüber hat sich Fred eingenistet, der, wie Kollegin Patricia zetert, den sozialen Wandel einleiten sollte und darin als »Krieger der Firma« auch erfolgreich war: Sein Schrank ist voller Geldbeutel, offenbar durchs rüde Verhökern attraktiver Objekte. Deutlicher wird TV-Versteigerer Preiser: Schmeißt die Türken raus und vermietet an Künstler, das zieht reiche Kunden an. Platz wäre dann nicht mehr für Sandys Straßenstrich, an dem alle partizipieren, die sichs leisten können, sogar der einfältige Matze, der nichts will als Sandys Lippenspiel.

So prallen sie aufeinander: der Aussteiger Fred, den nur noch das Schöne interessiert und der Neuköllns Ganoven, Kaputte, Entseelte nun seine Freunde nennt; die eiskalte Patricia; der verbitterte Single Dorothee; Omar, der sich eine Hochzeit nicht leisten kann; Sandy aus der Zone, die vom großen Geld träumt, aber Freds Heiratsantrag ablehnt.

Viel Zynismus entlädt sich in den Dialogen, die Musik, nicht sehr inspiriert, reicht von der Arie über Jazz und Song bis zum Septett, Leichen fallen an, bis Batman als großer Rächer erscheint und alle zum Finale bündelt, dem Chorus von der »Discount Diaspora«. An den vitalen Akteuren liegt es nicht, dass die Rechnung einer spannenden Volksoper am Ende nicht aufgeht. Ein Anfang aber ist gemacht.

Bis 29.4., Neuköllner Oper, Karl-Marx-Str. 131-133, Neukölln, Kartentel.: 68 89 07 77, Infos unter: www.neukoellneroper.de

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