Verdrängung verleiht Revolution Flügel

Organisatoren der 1. Mai-Demonstrationen wollen Inhalte stärker betonen / Polizei mit über 5000 Beamten im Einsatz

  • Martin Kröger
  • Lesedauer: 4 Min.

Farbbeutelattacken auf das Haus der Wirtschaft in Mitte und das Jobcenter in Neukölln. Brandanschläge auf Autos in Prenzlauer Berg, die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung in Charlottenburg sowie das Amtsgericht Wedding. Kurz vor dem diesjährigen 1. Mai nimmt die Zahl von militanten Aktionen aus der linksradikalen Szene in der Hauptstadt zu. In allen Fällen ermittelt der Staatsschutz beim Landeskriminalamt.

Trotz der nächtlichen Attacken hat man bei der Berliner Polizei derzeit keine Erkenntnisse für einen gewalttätigen Verlauf der Veranstaltungen und Demonstrationen am 1. Mai. Um jedoch auf alle Eventualitäten vorbereitet zu sein, wird die Polizei an diesem Tag mit deutlich über 5000 Beamten im Einsatz sein, wie Berlins Innensenator Ehrhart Körting (SPD) erklärt. Darunter werden sich auch Einheiten aus anderen Bundesländern befinden. An »Kaffeesatzlesereien« über mögliche Ausschreitungen will sich Körting indes nicht beteiligen. »Wir werden uns auf Friedrichshain-Kreuzberg konzentrieren und einen Raumschutz in der Stadt haben«, beschreibt er den Einsatzplan. Taktisch will die Polizei weiter am deeskalativen »Konzept der ausgestreckten Hand« festhalten. Damit ist gemeint, dass sich die Polizei eine größtmögliche Zurückhaltung auferlegt, während sie gegen Gewalttäter schnell und gezielt vorgehen will.

Gegenüber dem rbb lobte der Berliner Grünen-Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele gestern das Einsatzkonzept der Polizei bei den vergangenen 1. Mai-Demonstrationen in Kreuzberg als »gelungen«. Das Auftreten der Beamten habe sich vom rein militärischen Vorgehen wegbewegt, so Ströbele. Während es im vergangenen Jahr auch bei der »Revolutionären 1. Mai-Demonstration« friedlich geblieben sei, wäre das Problem seiner Ansicht eher, dass es im Anschluss an die Demonstration zu Auseinandersetzungen komme. Der Grünen-Politiker kritisierte im gleichen Atemzug aber auch die Berliner Boulevard-Presse. In deren Vorberichterstattung hätte sich diese alle Mühe gegeben, Spannungen zu schüren, indem sie die Gewalt an die Wand malte.

Für Irritationen hatte in den letzten Tagen ein Aufruf aus der linksradikalen Szene gesorgt, sich um 16 Uhr unangemeldet auf dem Mariannenplatz mitten im »Myfest« und am Rande des Familien- und Kinderfestes in Kreuzberg zu versammeln. Selbst die anonymen Aufrufer fühlten sich bemüßigt, klarzustellen, dass es nicht um einen Protest gegen die Besucher des »Myfestes« ginge, sondern um einen Versuch, den 1. Mai zu repolitisieren – gegen »explodierende Mieten«, für die jedoch auch Parteien und Organisatoren des »Myfestes« mit verantwortlich seien.

Der LINKE-Abgeordneten Steffen Zillich, der das Fest auf dem Mariannenplatz mitgestaltet, sieht den Aufruf jedoch gelassen. »Sowas gab es immer mal wieder«, sagt Zillich. Er gehe zudem davon aus, dass niemand so bescheuert sei, auf einem Kinderfest »Stunk« zu machen. Seit 1996 gibt es das Familienfest auf dem Mariannenplatz mit Diskussionen von Grünen- und Linken-Politikern, Kulinarischem und Ständen von Stadtteilinitiativen. Politischer Schwerpunkt ist aber hier wie dort das Thema Verdrängung und Gentrifizierung. Auch bei der Berliner Linkspartei, die sich zurzeit im Wahlkampf zu den Abgeordnetenhauswahlen befindet, ist das zentral, so Zillich.

Bereits am Abend des 30. April wollen linke Gruppen vom Rosenthaler Platz in Mitte zum Mauerpark demonstrieren. Auch bei dieser Demonstration geht es um die Vertreibung zahlungsschwacher Bevölkerungsgruppen und von alternativen Kultur- und Wohnprojekten aus dem Herzen der Stadt. Den Schulterschluss mit den sich überall in der Stadt bildenden lokalen Initiativen gegen Verdrängung sucht unterdessen auch das linksradikale Bündnis, das die Revolutionäre 1. Mai-Demonstration um 18 Uhr vom Kottbusser Tor zum Südstern organisiert.

Die Anmelderfrage für diesen Aufzug ist derweil wieder geklärt. Nachdem sich der erste Anmelder, ein Mitarbeiter einer LINKEN-Bundestagsabgeordneten, Mitte April nach starkem öffentlichem Druck zurückgezogen hatte, ist die Revolutionäre 1. Mai-Demonstration jetzt auch wieder offiziell angemeldet, berichtet Sebastian Lorenz von der Antifaschistischen Linken Berlin (ALB), die sich an dem Bündnis antifaschistischer und autonomer Gruppen beteiligt. Inhaltlicher Schwerpunkt der Manifestation, zu der die Organisatoren auch in diesem Jahr wieder mehr als 10 000 Teilnehmer erwarten, sind ebenfalls die Folgen der sozialen Ungleichheit. »Wir wollen, dass politische Themen bei der Demonstration ein stärkeres Gewicht bekommen«, sagt Lorenz. Das sei auch der Grund dafür, den Aufzug durch Neukölln zum Südstern zu führen. Denn in diesem Kiez bewegt das Thema Gentrifzierung die Leute besonders, meint Lorenz.

Termine

30.4:

  • Demonstration gegen soziale Verdrängung, 16.30 Uhr, U-Bahnhof Rosenthaler Platz zum Mauerpark.
  • Antikapitalistische Walpurgisnacht, 14 bis 22 Uhr auf dem Friedrichshainer Wismarplatz.


1.5:

  • Demonstration des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), 9 Uhr, Keithstraße am Wittenbergplatz zum Brandenburger Tor.
  • Familien- und Kinderfest ab 13 Uhr auf dem Mariannenplatz. In den umliegenden Kreuzberger Straßen findet bis in den Abend das »Myfest« statt.
  • Revolutionäre 1. Mai-Demonstration, 18 Uhr, Beginn am Kottbusser Tor, Route führt zum Südstern.

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