Bußgeld am Försterloch

Wandern abseits des rechten Weges – warum der Hallenser Verleger Axel Mothes mit dem Nationalpark Sächsische Schweiz streitet

  • Hendrik Lasch, Bad Schandau
  • Lesedauer: 6 Min.
Die Sächsische Schweiz ist voller alter Pfade. Weil das Gebiet Nationalpark ist, darf indes nur auf bestimmten Wegen gewandert werden. Ein Hallenser Naturfreund widersetzt sich – und gibt dem Konflikt zwischen Tourismus und Naturschutz so neue Nahrung.

Das Försterloch gehört zu den sehr alten Wegen in der Sächsischen Schweiz. Schon im Jahr 1862 meißelte ein Mühlenbesitzer aus dem Kirnitzschtal seinen Namen in den Sandstein. Später wurde der Pfad, der vom Kleinen Zschand hinauf zum Winterberg führt, sogar gepflastert. Die Steine seien noch gut erhalten, sagt Axel Mothes, der das idyllische Försterloch im Oktober 2010 besuchte – auf einer Ferienwanderung mit seinem Sohn. Das romantische Naturerlebnis endete freilich abrupt: Ein Ranger der Nationalparkverwaltung Sächsische Schweiz stellte die beiden Wanderer und verhängte ein Bußgeld. Sie waren, so lautet der Vorwurf, vom rechten Weg abgekommen. Weil Mothes sich im Recht wähnte und widersprach, sollte sich heute sogar das Amtsgericht Pirna mit dem Fall befassen.

Wegenetz beschnitten

Das Försterloch ist Teil eines dichten Wegenetzes in der wild-romantischen Landschaft. Durch deren enge Schluchten und zwischen den abenteuerlich aufgetürmten Sandsteinfelsen pirschten Jäger, stiefelten Holzfäller und Schmuggler – und seit Anfang des 19. Jahrhunderts auch immer mehr Wanderer und Bergsteiger. Längst nicht alle der viele Hundert Kilometer langen Wege dürfen heute von Touristen benutzt werden. Während in den Randbereichen des Nationalparks alle im Gelände erkennbaren Wege beschritten werden dürfen, gelte in dessen Kernzone »ein strenges Wegegebot«, sagt Andreas Knaak, Referent in der Nationalparkverwaltung: »Dort darf nur auf markierten Wegen gewandert werden.« 400 Kilometer Wegstrecke sind in der gesamten Sächsischen Schweiz mit Wegzeichen versehen. In manchen Gebieten wurde das Netz aber ausgedünnt, um Ruheräume für Tiere zu schaffen oder die Natur sich selbst zu überlassen. Auch das Försterloch ist seit einer Ausweitung der Kernzone im Jahr 2002 kein markierter Weg mehr. Auf vielen der neueren Wanderkarten ist er deshalb nicht mehr zu finden.

Axel Mothes freilich, der in Halle einen touristischen Kleinverlag betreibt, beschreibt in den dort herausgegebenen »Stiegenbüchern« gerade solche offiziell unzugänglichen Wege. Bisher drei der Wanderführer hat der 43-jährige Landschaftsgärtner aufgelegt; sie erläutern über 150 Wege mit kuriosen Namen wie Himmelsleiter, Wolfsfalle oder Quarksesteig. Die Nachfrage ist groß: Nach eigenen Angaben hat Mothes schon einige tausend »Stiegenbücher« verkauft. Er durchstöbert dafür alte Karten und Wanderführer und nutzt sogar die Kartenblätter der ersten Landvermessung in Sachsen aus dem 16. Jahrhundert. Die Wege, Steige und Pfade seien Teil einer alten Kulturlandschaft, argumentiert Mothes – und sie sollten es bleiben.

Deshalb ist ihm durchaus daran gelegen, dass seine Beschreibungen in der Natur nachvollzogen werden. Zwar weist er in seinen Büchern auf das strenge Wegegebot hin. Doch auch dem Verleger ist klar, dass niemand die Führer erwirbt, »um sie nur auf dem Sofa durchzublättern«. Wer ein Stiegenbuch kauft, wird in der Regel auch einige der dort beschriebenen Wege ablaufen wollen.

Während diese Einladung in der Nationalparkverwaltung für Unmut sorgt, sieht Mothes kein Problem: Er beschreibt seine Leser als »Romantiker«, die »von der Sächsischen Schweiz infiziert sind« und sich vorsichtig in der Natur bewegten. Die Zahl der Interessenten sei überschaubar. Die Millionen von Touristen, die von weither anreisten, um Attraktionen wie Bastei, Kuhstall oder Schrammsteine zu sehen, »interessieren meine Bücher nicht«. Generell hält Mothes es zwar für wichtig, dass die Sächsische Schweiz ein Nationalpark ist und versucht wird, Tourismus und Naturschutz in Einklang zu bringen. Für den »sehr kleinen Teil der Touristenmasse«, der sich für verborgene Stiegen interessiert, sollte aber eine moderate Regelung gefunden werden.

Jagd nach Geheimtipps

Andreas Knaak sieht das anders. Der Mitarbeiter des Nationalparks fürchtet, dass nicht zuletzt Wanderer abseits der rechten Wege Schäden in Gebieten anrichten, aus denen der Mensch zum Schutz der Natur eigentlich ferngehalten werden soll, und betont, dass der Sandstein und viele auf ihm lebenden Pflanzen äußerst empfindlich seien: »Da hinterlassen zehn Wanderer schon deutliche Spuren.« Zudem bedienen Publikationen wie die »Stiegenbücher« – womöglich ungewollt – einen Trend, der Naturschützern ohnehin Kopfzerbrechen bereitet: Sie beobachten bei immer mehr Besuchern ein Bedürfnis nach vermeintlich exklusiven Naturerlebnissen. Knaak spricht von einem »regelrechten Wettstreit um Geheimtipps«, die auch Quartiergeber in der Sächsischen Schweiz anpriesen – mit der Folge, dass die Natur auch jenseits der Hauptattraktionen in großen Scharen durchwandert und dabei »verschlissen« werde.

Vor diesem Hintergrund sind auch Wanderverbände nicht glücklich über Wanderer jenseits der markierten Wege. Ulrich Voigt, der Ehrenvorsitzende des Sächsischen Bergsteigerbunds, verweist auf einen austarierten Kompromiss zum Wegenetz in der Sächsischen Schweiz, den Naturschützer und Nationalparkverwaltung, Forstverwaltung, Gemeinden sowie Tourismus- und Wanderverbände vor zehn Jahren erarbeiteten. In einer Arbeitsgruppe seien »in zähem und verantwortungsbewusstem Ringen« die anfänglich deutlich weitergehenden Forderungen des Nationalparks zur Schließung von beliebten Wanderwegen abgemildert worden. Die gefundene Regelung verteidigt Voigt, der auch anmerkt, die Ranger reagierten bei erstmaligen Verstößen oft »schonend« und beließen es in der Regel bei Verwarnungen.

Gelegentlich aber wird durchgegriffen: In 196 Fällen wurden letztes Jahr »Ordnungsmaßnahmen« eingeleitet, erklärt der Nationalpark. Meist wurden Autos im Wald geparkt, was verboten ist. Häufig wird auch im Freien übernachtet, meist mit einem Lagerfeuer. Dieses »Bofen« indes ist im Nationalpark nur noch in Ausnahmefällen zulässig. Anfangs habe man Anfragen kulant beantwortet und sogar Koordinaten für geeignete Felshöhlen mitgeteilt, sagt Knaak. Inzwischen finden sich Listen sogar im Internet. Immer wieder werden dünne Kiefern umgesägt und verfeuert, die aber, wie man in der Nationalparkverwaltung betont, oft dennoch viele Jahrzehnte alt sind: Auf dem mageren Gestein wachsen die Bäume nur sehr langsam.

Angesichts solcher zunehmenden Konflikte zwischen Tourismus und Naturschutz sehen auch manche Wanderer die Aktivitäten von Mothes kritisch: Der Verleger wolle »bewusst Leute auf wenig begangene Wege locken« und ziehe daraus materielle Vorteile, wettert Ulrich Voigt und wirbt um Verständnis für die Wegeregelung: »Sie soll sichern, dass auch künftige Generationen noch ursprüngliche Natur kennen lernen können.«

Mothes dagegen ist davon überzeugt, dass die Leser seiner Bücher, die er teils persönlich kennt, ebenfalls Anhänger des Naturschutzes sind. »Sie wissen, wo sie nicht hingehen dürfen, wenn der Sumpfporst blüht oder seltene Vögel brüten«, sagt der Wanderfreund. Gleichzeitig ist er der Meinung, dass auch die alten Wege zur Sächsischen Schweiz gehören und weiter begangen werden sollten. Aus einer »gewachsenen Kulturlandschaft, wie es das Elbsandsteingebirge seit 500 Jahren ist«, könne keine Wildnis mehr werden; sie müsse »geschützt werden, aber gleichfalls erlebbar bleiben«.

Verhandlung abgesagt

Allerdings: Seine Überzeugung, die Wegeregelung in der Sächsischen Schweiz sei rechtlich bisher nicht verbindlich und deshalb angreifbar, musste er nach Konsultation mit einem Rechtsanwalt fallen lassen. Das Bußgeld wegen Falschwanderns am Försterloch – ein Betrag von gut 73 Euro – ist bezahlt, eine für heute angesetzte Protestwanderung zum Gericht von Bad Schandau nach Pirna ist abgesagt. Klein beigeben will Mothes allerdings nicht. Auf seiner Internetseite ruft er den Lesern seiner Stiegenbücher trotzig zu: »Uns wird schon etwas einfallen, wie wir die Wege begehbar erhalten!«

Will auch die kleineren, wenig bekannten Wanderwege in der Sächsischen Schweiz für Naturfreunde offen halten und steht deshalb bei Naturschützern und organisierten Wanderern in der Kritik: Verleger Axel Mothes Fotos: privat
Will auch die kleineren, wenig bekannten Wanderwege in der Sächsischen Schweiz für Naturfreunde offen halten und steht deshalb bei Naturschützern und organisierten Wanderern in der Kritik: Verleger Axel Mothes Fotos: privat
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