Fünf Jahre für einen der »Letzten«

Münchner Gericht sprach Urteil über den SS-Mordgesellen Demjanjuk

  • René Heilig
  • Lesedauer: 4 Min.

Eine wichtige Nachricht des gestrigen Tages lautet: Das Landgericht München hat den KZ-Wachmann Iwan (John) Demjanjuk wegen Beihilfe zum tausendfachen Mord zu fünf Jahren Haft verurteilt. Und ihn freigelassen.

Prozess? Frei? Manch oberflächliche Radiohörer, der sich sonst in Friseur-Illustrierten bildet mag erleichtert gedacht haben, sie haben den netten Herrn Kachelmann endlich wieder rausgelassen?! Denn die Soap-Opera gegen den eloquenten Wettergott zieht weit mehr Interesse auf sich als die Verhandlung gegen diesen bulligen, kranken, 91-jährigen, abgestumpften Mann mit Sonnenbrille. Nazi-Prozesse mochte man noch nie in dieser Bundesrepublik.

Demjanjuk, wer ist Demjanjuk?! Der Mann, der seinem Prozess maximal drei Stunden pro Tag meist vom Krankenbett folgte, hat als »fremdvölkischer Hilfswilliger« in Sobibor bei der Ermordung von 27 900 Juden geholfen. Sobibor? Hier stand eines der Vernichtungslager der Nazis im besetzten Polen. Der nun Verurteilte soll als Mordgesellen der SS Männer, Frauen und Kinder aus Zügen direkt in Gaskammern getrieben haben.

Richter Ralph Alt betonte, das Gericht habe sich bei seinem Spruch vom Gesetz und nicht von moralischen oder politischen Überlegungen leiten lassen. Das versuchte Demjanjuks Anwalt Ulrich Busch seit Prozessbeginn im November 2009 in Zweifel zu ziehen. Sein Mandat sei todkrank, nicht verhandlungsfähig, wiederholte er beharrlich. Demjanjuk ist verhandlungsfähig, es gehe ihm sogar besser als in den USA, bescheinigte dagegen Professor Christoph Nerl vom Klinikum Schwaben.

Warum eigentlich verhandelte man in München? Das hatte der Bundesgerichtshof so entschieden, nachdem Demjanjuk aus den USA nach Deutschland abgeschoben worden war. Hier in Feldafing am Starnberger See hielt sich der einstige kriegsgefangene Rotarmist und SS-Helfer auf, als das Nazi-Regime in Trümmern lag. Hier arbeitete er für die US-Armee, bevor er in die Staaten wechselte.

Demjanjuk stand schon einmal als mutmaßlicher Massenmörder vor Gericht – von 1988 bis 1993 in Israel. Man hatte ihn als »Iwan den Schrecklichen« von Treblinka erkannt und verurteile ihn zum Tode. Ein Irrtum, der nach dem Auftauchen neuer Dokumente berichtigt worden ist. Dennoch taugte das Urteil nicht für das Münchner Verfahren, in dem es um die Vorkommnisse in Sobibor ging. Obgleich der Angeklagte leugnete, jemals KZ-Aufseher gewesen zu sein.

Er stellte sich als Opfer einer Verwechslung hin. Da Zeugen und Nachweise konkreter Taten nicht beigebracht werden konnten, ging die Staatsanwaltschaft davon aus, das ein Wachmann eines Vernichtungslagers quasi automatisch Mordhelfer war. Zudem fanden sich Dokumente, die Demjanjuk als einen Trawnik identifizierten.

Trawnik? In dem polnischen Ort drillte die SS vor allem ehemalige Kriegsgefangene, die sich den Nazis zur Verfügung gestellt hatten. Die Expertisen zur Echtheit von Demjanjuks SS-Dienstausweises 1393, in dem »abkommandiert 27.3.1943 Sobibor« zu lesen ist, seien Scheingutachten, wetterte Demjanjuks Verteidiger. Der – wie andere vor ihm – das Dokument als Fälschung des sowjetischen Geheimdienstes KGB betrachtet.

Hunderte Anträge habe er gestellt, die wenigsten wurden positiv beschieden, wetterte Advokat Busch. Deshalb hatte sein Mandant sogar mit Hungerstreik gedroht. Auch dass dem von Richter Ralph Alt das Wort entzogen worden war, beklagte Busch nimmermüde. Hilfsweise zog der Advokat das Argument »Befehlsnotstand« hinzu. Die Verteidigung bezeichnet den nun Verurteilten, der das Urteil in seinem Rollstuhl sitzend entgegennahm, immer wieder als »kleinsten der kleinen Fische«. Dennoch, so hatte Staatsanwalt Hans-Joachim Lutz plädiert, Demjanjuk »hat sich die rassenideologischen Ziele der Nazis zu eigen gemacht. Das ergibt sich daraus, dass keine Bemühungen erkennbar sind, sich der Tätigkeit zu entziehen.«

So sahen das auch die über 30 Nebenkläger, die vor allem aus den Niederlanden stammten. Das Argument »kleiner Fisch«, so stellte das Gericht klar, rechtfertige nicht den von der Verteidigung geforderten Freispruch.

Einen Verdacht des Verteidigers kann man – ohne jeglichen Vorwurf gegen das Münchner Gericht – nicht einfach so vom Tisch wischen. Busch meint, die deutsche Justiz wollen wiedergutmachen, dass sie seit Gründung der Bundesrepublik hochrangige Nazis freigesprochen hat. Bereits vor Beginn hatte man die Münchner Verhandlung zu einem der »letzten großen Nazi-Verbrecher-Prozesse« erklärt. Das klang so, als wolle »jemand« einen allerletzten Punkt setzen. Doch selbst wenn das wider den Rechtsstaat gelingt – politisch ist noch allzu vieles offen.

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