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Etwas Drittes gibt es nicht

Extremistenjäger: Mathias Brodkorb erklärt sich selbst und die Extremismustheorie

  • Velten Schäfer
  • Lesedauer: 3 Min.
Velten Schäfer über »Extremistenjäger«, ein Bändchen des Schweriner SPD-Abgeordneten Matthias Brodkorb, dem Gründer der Anti-Nazi-Plattform »Endstation Rechts«.

Eines vorweg: Wer immer linkerseits glaubt, mit Mathias Brodkorb irgendein »Problem« haben zu müssen, weil der Schweriner SPD-Abgeordnete und Gründer der Anti-Nazi-Plattform »Endstation Rechts« ein Interview mit Henning Eichberg geführt hat, dem viel zitierten »Vordenker der Neuen Rechten«, der ist auf dem Holzweg. Nicht nur, weil diese Art der Wer-hat-mit-Wem-gesprochen-Analyse zu gar nichts führt. Sondern auch, weil das betreffende Interview, das man auch auf »Endstation Rechts« nachlesen kann, überaus interessant ist. Zeigt es doch, das der Horst-Mahler-Pfad vom Demos zum Volkstum keine Einbahnstraße ist: Eichberg ist heute dänischer Linksdemokrat.

Dennoch kann man sich ärgern über Brodkorbs Bändchen »Extremistenjäger«. Auch das nicht unbedingt, weil dort ein Text des »Extremismusexperten« Eckehard Jesse abgedruckt ist, der mit einem (alten) Bisky- und zwei Wagenknecht-Zitaten begründet, warum die Linkspartei einen »weichen Extremismus« pflegt und daher ein Fall für den Geheimdienst bleibe, denn davon distanziert sich Brodkorb: Aus seiner Sicht meint die Linkspartei den Kapitalismus und nicht die Menschenwürde, wenn sie gegen das »System« zu Felde zieht. Ärgerlich sind andere Beiträge in dem schmalen Bändchen, der zum Beispiel, in dem der studierte Philosoph Brodkorb auf sieben, acht Seiten Herbert Marcuse als »totalitären« Denker entlarvt: Der westdeutsche »Vordenker« von '68 gehöre zu denen, die einen »neuen Menschen« schaffen wollten, was nichts anderes sei als eine pervertierte Gottesvorstellung und im Terror Ende etc.pp. Brodkorb ist nicht der erste, sondern eher der Fünfzigste, der derlei zu Papier bringt, und man hat es auch schon eleganter gelesen. Aber sind wir nicht schon längst selbst der »neue Mensch«, tagtäglich reproduziert? Gibt es einen »echten« Menschen? Schafft nicht jedes Wohnbauprogramm einen neuen?

In erster Linie hat Brodkorb das Bändchen herausgebracht, um sich gegen Vorwürfe zu verteidigen, er rede einer »platten Extremismustheorie« das Wort. Und wer das Buch gelesen hat, weiß, was ihn daran am meisten stört: das Adjektiv »platt«. Deshalb entrollt Brodkorb ein politologisches Panorama, das streckenweise etwas bildungshuberisch wirkt. Das Resultat dieser freudlosen Kärrnerei ist indes mit Theorie dasselbe wie ohne: Die Familienministerin, so Brodkorb, hat ganz recht damit, auch Programme gegen Linksextremismus aufzulegen. Wenn er auch die Verfassungstreue-Unterschriften ablehnt, die der Ausgangspunkt zur jüngsten »Extremismus«-Debatte waren.

Nein, »platt« ist die Extremismustheorie nicht, die Brodkorb in seinem Bändchen vorstellt. Aber dennoch läuft sie im Grunde immer auf die gleiche Frage zu: Extremist oder nicht. Etwas drittes gibt es nicht, wenn man sich auf einen normativen Begriff von Demokratie – und auf eine normative Politologie als »Demokratiewissenschaft« in bundesrepublikanischer Tradtion – einlässt. Darin ist der »Extremismus« stets das konstituierende Andere. Eine solche Totalitarismus- oder Extremismus-Theorie legt sich Kriterien zurecht und hakt diese dann in der Wirklichkeit ab. Sie kann nur von ihrer eigenen Folie deduzieren.

Warum das in einem ernstzunehmenden sozial- wie geschichtswissenchaftlichen Kontext schon lange erledigt ist, erklärt im Buch Hubertus Buchstein, der Rostocker Politologe und ein theoretisch-wissenschaftlicher Gegenspieler Jesses: Weil es wissenschaftliche Fiktionen auf die Welt stülpt, statt induktiv Gefundenes zu theoretisieren. Weil in einem logischen Sinn das Gegeteil von D nicht E heißt, sondern alles, was nicht D ist. Das entsprechende »Streitgespräch« zwischen Buchstein und Brodkorb ist allein schon ein Grund, in diesem Büchlein zu blättern.

Der Extremismusbegriff hat aber nie eine Analysekategorie sein wollen; er war in letzter Konsequenz nie etwas anderes als die Existenzberechtigung des Geheimdienstapparates. Als noch vergleichsweise junger Politiker macht sich Brodkorb ernsthafte Gedanken darüber, welches Schwert er da eigentlich führt. Das allein ist lobenswert – und vielleicht auch manchem zu empfehlen, der sich einerseits über »Extremismustheoretiker« ärgert, aber andererseits nach einem Verbot der NPD ruft.

Mathias Brodkorb (Hg.): Extremistenjäger. Der Extremismus-Begriff und der demokratische Verfassungsstaat, Banzkow 2011, 100 Seiten, 8,90 Euro.

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