Kinder »wie Bilder an der Wand«

Besuch in neu gestalteter Ausstellung über einen Massenmord der Nazis am Bullenhuser Damm in Hamburg

  • Hans Canjé
  • Lesedauer: 3 Min.
Seit Jahren macht die Ausstellung am Bullenhuser Damm in Hamburg auf die Vergangenheit dieser Adresse als KZ-Außenlager aufmerksam. Das Datum ihrer Neueröffnung nach einer Umgestaltung in diesem Jahr wurde auf den Jahrestag eines besonders grausamen Verbrechens gelegt.

Hamburg-Rothenburgsort, Bullenhuser Damm 92. In der tristen, von Wirtschaftsunternehmen dominierten Gegend ragt weithin sichtbar der vierstöckige rote Backsteinbau der 1910 gegründeten, heute nach dem polnischen Widerstandskämpfer Janusz Korczak benannten Schule heraus. Schilder an den Außenwänden informieren knapp, dass in diesem Gebäude am 20. April 1945 20 Kinder und 28 Erwachsene von der SS ermordet wurden. Am 20. April, dem Jahrestag des Verbrechens, wurde die neue Ausstellung in den Kellerräumen der in diesem Jahr umgebauten Gedenkstätte eröffnet, sie ist sonntags oder nach Vereinbarung zu besuchen.

Ende 1944 wurde die Schule im fast völlig zerstörten Stadtteil Rothenburgsort zur Außenstelle des KZ Neuengamme ausgebaut. Zeitweise waren hier bis 600 KZ-Häftlinge untergebracht. Auf Befehl aus Berlin wurden an jenem Schicksalstag im April 1945 zehn Mädchen und zehn Jungen in die Schule gebracht. Jüdische Kinder aus Polen, Frankreich, den Niederlanden, Italien und Jugoslawien, die im November 1944 aus dem »Kinderblock 11« in Auschwitz nach Neuengamme transportiert worden waren, um hier vom KZ-Arzt Kurt Heißmeier für medizinische Experimente mit Tuberkulose-Experimente missbraucht zu werden. Oberarzt Heißmeier hatte in Neuengamme schon an über 100 Häftlingen, darunter viele sowjetische Kriegsgefangene, ähnliche Experimente durchgeführt. Seiner Forderung entsprechend, waren die Kinder in Auschwitz selektiert worden. Ihr Abtransport in die Schule am Bullenhuser Damm erfolgte, um in Neuengamme angesichts des Näherrückens der britischen Truppen alle Spuren der Verbrechen zu tilgen. Mit den Kindern wurden vier Betreuer und sechs sowjetische Kriegsgefangene verlegt, in einem zweiten Transport kamen aus dem Außenlager Spardingstraße weitere Kriegsgefangene hinzu.

Bei der Mordaktion führte SS-Untersturmführer Arnold Strippel das Kommando. Die Opfer wurden, so ergab es die Untersuchung im Neuengamme-Prozess, der am 18. März 1946 im Hamburger Curiohaus gegen 14 SS-Chargen begann, in die Kellerräume der Schule geführt. Zuerst wurden die erwachsenen Gefangenen in den Heizungsräumen erhängt. Die Kinder mussten sich in den Umkleideräumen entkleiden. SS-Arzt Alfred Trzebinski im Prozess: »Ich rief einzeln ein Kind nach dem anderen auf. Sie legten sich über den Schemel und ich gab ihnen die Spritze ins Gesäß, was am schmerzlosesten ist.« Im hintersten Raum des Kellers vollendete der SS-Mann Johann Frahm das Werk: »Es wurde ihnen ein Strick um den Hals gelegt und sie wurden dann an Haken wie Bilder an der Wand aufgehängt.« Jahre später sollte ein Oberstaatsanwalt befinden, den Kindern sei »über den Tod hinaus kein Leid geschehen«.

1999 wurde die Gedenkstätte in städtische Trägerschaft übernommen und unter das Dach der KZ-Gedenkstätte Neuengamme gestellt. Die nun öffentliche Wahrnehmung durch die Hansestadt ist vor allem ein Verdienst des Journalisten Günther Schwarberg, der den Ermordeten im wahrsten Sinne des Wortes die Namen wiedergegeben hat. Zumindest die der Kinder und Betreuer sind in der 160 Quadratmeter großen modernisierten Ausstellung in symbolischen Koffern nachzulesen. Ton- und Filmdokumente sind abrufbar. In schlichten, farblich abgesetzten Schränken und Fächern mit knappen Stichwörtern kann der Besucher seine Kenntnisse erweitern: über die Täter, den Prozess, die Schwarberg-Recherchen, die Nachkriegsgeschichte der Schule oder den Fall des SS-Mörders Strippel, der bereits im KZ-Buchenwald blutige Spuren hinterlassen hatte und straffrei davongekommen ist. Die Kellerräume, in denen die Morde verübt wurden, sind in schlichtem Weiß gehalten, sparsame Texte an den Wänden. So ist die Gedenkstätte zugleich ein Mahnmal, wie es wohl auch von dem Besucher verstanden worden ist, der ins Gästebuch schrieb: »Ich verstehe nicht, wie man heutzutage noch Nazi sein kann.«

Zu wünschen wäre der Ausstellung eine bessere Werbung im Stadtbild. Und zu fragen bliebe: Warum werden die Hinweisschilder nur in deutscher und englischer Sprache dargeboten? Immerhin wurden hier 24 sowjetische Kriegsgefangene ermordet. Ihre Identität ist bisher aber ebenfalls nicht vollständig geklärt.

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