Schnittstelle zwischen Produzenten und Konsumenten

Ein Vertriebskollektiv bietet Berlinern Waren aus sozial und ökologisch wirtschaftenden Produktionsgemeinschaften

Nur bei der Schnittstelle im Sortiment: Nudeln der Iris-Kooperative in allen Größen und Formen, geschälte Tomaten in Dosen, Salz aus der niedersächsischen Saline Luisenhall, Weizeneiweiß zur Herstellung von Seitan aus der Böhlsener Mühle in der Lüneburger Heide, verschiedene Apfelsaftsorten aus der Kommune Karmitz im Wendland.
Nur bei der Schnittstelle im Sortiment: Nudeln der Iris-Kooperative in allen Größen und Formen, geschälte Tomaten in Dosen, Salz aus der niedersächsischen Saline Luisenhall, Weizeneiweiß zur Herstellung von Seitan aus der Böhlsener Mühle in der Lüneburger Heide, verschiedene Apfelsaftsorten aus der Kommune Karmitz im Wendland.

Nudeln in Fünf-Kilo-Säcken und Apfelsaft in Fünf-Liter-Tüten lagern auf Paletten am Boden. Mehrere Kisten mit Saftflaschen sind an der Wand gestapelt. Wein, Biokaffee und Espresso liegen in den Regalen, daneben stehen Dosen mit geschälten Tomaten, Gläser mit Honig, Rohrzucker, Kräutersalz und Pfeffer. Und das alles in einem nur etwa zehn Quadratmeter großen Raum, eine Art Hinterzimmer der riesigen Halle des Getränkekollektivs Gekko in Berlin-Kreuzberg. Es ist der Lager- und Verkaufsraum der Schnittstelle, die dort Untermieter ist.

Herbie gehört zur Schnittstelle. Vor drei Jahren hat er zusammen mit Freunden begonnen, ein alternatives Vertriebsnetz aufzubauen, um Produkte aus solidarökonomischen Kooperativen Berliner Kunden zugänglich zu machen. »Der normale Verbraucher kommt in der Regel nicht an Lebensmittel aus kleinen und alternativen Projekten. Dabei entgehen ihm gute und leckere Produkte.« Der 36-Jährige spricht aus eigener Erfahrung. Als er noch in der Kollektivkneipe Morgenrot im Prenzlauer Berg arbeitete, war er auf die Produktpalette der anliefernden Händler angewiesen. Es war viel einfacher aus ihrem Sortiment auszuwählen, anstatt Säfte eines befreundeten Kollektivs in Karmitz bei Lüchow im Wendland abzuholen. Inzwischen beliefert Schnittstelle auch das Café Morgenrot.

Die Schnittstelle bietet ausschließlich biologisch produzierte, fair gehandelte und möglichst regionale Produkte an. Auf den teils handgeschriebenen Etiketten sucht man jedoch vergeblich nach einem Bio-Siegel. Die Zertifizierung ist für viele der kleinen Projekte nicht finanzierbar. Sie sprechen stattdessen von »Bio auf Vertrauen«. Die seit 20 Jahren bestehende Kommune Urupia in Süditalien bietet beispielsweise an, sich bei einem Besuch selbst von der ökologischen Produktion ihres Olivenöls und Rotweins zu überzeugen.

Wegen zu geringer Lieferquoten schaffen es die Nahrungsmittel von vielen Projekten weder in die Bestelllisten der Zulieferer noch in die Regale der Bio-Supermärkte. Mit der Schnittstelle wollen Herbie, Anne und Jürgen die wirtschaftliche Existenz der Klein- und Kleinstproduzenten stärken. Sie übernehmen deshalb die Direktvermarktung ausgewählter Produkte in Berlin. Die Hersteller haben sich in der Regel dem solidarischen Wirtschaften verpflichtet, arbeiten genossenschaftlich mit gemeinsamer Kasse und ohne Chef.

Gegenentwurf zur Konkurrenzgesellschaft

Genauso funktioniert auch die Schnittstelle. Herbie, der seit 2001 in Kollektiven arbeitet, ist einer der derzeit drei Mitglieder. Seine Kollegin Anne ist Expertin zum Thema Landwirtschaft und Mitglied im Aktionsnetzwerk globale Landwirtschaft. Sie ist wie Jürgen, der in diesem Jahr in das Vertriebskollektiv eingestiegen ist, seit vielen Jahren internationalistisch aktiv. Jürgens Interesse an den Arbeitsbeziehungen und Produktionsverhältnissen im Lebensmittelsektor gaben ihm den Anstoß, sich zu beteiligen. Leben können die drei nicht von ihrer Initiative. Ihre Gewinnmarchen liegen weit unter denen von Bio-Supermärkten, aber die Einnahmen decken zumindest sämtliche Unkosten wie Miete und Telefon.

Die Schnittstelle ist für Anne eine lokale Alternative zur Übermacht der Supermärkte und Handelsketten mit Massenproduktion. Aber ihr reicht es nicht, wenn Menschen nur bessere Produkte kaufen, wie es die sogenannten LOHAS-Konsumenten (»Lifestyles of Health and Sustainability«) propagieren. »Die Lifestyle-Ökos erkaufen sich mit ihrem Geld ein gutes Gewissen, realisieren aber nicht, dass unser Wohlstand auf der Ausbeutung und Unterdrückung der Menschen im globalen Süden beruht. Von Konsumverzicht wollen sie nichts wissen.« Wirkliche Veränderung sei nur über andere Wege möglich, beispielsweise durch den Eingriff in politische Entscheidungen mit direkten Aktionen, ergänzt Herbie, der sich schon bei den ersten Castortransporten ins Wendland Mitte der 1990er an den Protesten vor Ort beteiligte.

Leckere Pasta und Informationen

Aufklärung und Aufbau von Gegenöffentlichkeit ist deshalb ein zweites Aufgabengebiet der drei Berliner. Ihre Pasta-Abende sind Film- und Vortragsveranstaltungen, auf denen sie über Saatgut, nachhaltige Landwirtschaft und alternatives Wirtschaften informieren. Nebenbei können sich die Besucher davon überzeugen, dass die Nudeln der bäuerlichen Iris-Kooperative in Italien tatsächlich lecker sind.

Die drei von der Schnittstelle erhalten großen Zuspruch. »Alle finden die Idee gut, aber den Schritt, das eigene Einkaufsverhalten zu verändern, geht nicht jeder mit«, stellt Jürgen fest. Die ersten Kunden kamen aus dem Freundeskreis, dann hat sich die Initiative per Mund-zu-Mund-Propaganda herumgesprochen.

Für die großen Nudelpackungen und die fünf Liter umfassenden Apfelsafttüten des ökologischen Bag-in-Box-Verpackungssystem mit Zapfhahn, interessierten sich vor allem Hausprojekte und große Wohngemeinschaften. Das freut Jürgen, schließlich wolle man auch diejenigen unterstützen, die kollektiv wohnen. Für die anderen finden sich aber auch die gewohnten Kleinpackungen im Angebot.

»Ich halte das Prinzip der Schnittstelle für unterstützenswert«, erklärt Adrian Steinmetz, der hier regelmäßig Nudeln, Kaffee und Getränke kauft. Er greift zielgerichtet selbst in die Regale und packt seine Einkäufe ein. »Die Produkte schmecken besonders gut und den Apfel-Wurzel-Saft gibt es nur hier.« Mit vollem Rucksack und einer Sechser Kiste des knatsch-roten Safts aus Äpfeln, Rote Beete, Möhren, Pastinake, Petersilienwurzeln und Sellerie verlässt er kurz darauf den Raum.

Im angrenzenden Getränkelager ist ein ständiges Kommen und Gehen. Gabelstapler verladen Bierkisten in Transporter. Unterdessen bleibt es bei der Schnittstelle ruhig. Kunden rennen ihr nicht die Türen ein. Obwohl Herbie und seine Freunde gerade in Kreuzberg gut verdienende, grün-alternative Anwohner ansprechen könnten, verzichteten sie bislang auf Werbekampagnen. »Wie professionell will man sich vermarkten?«, fragt er und problematisiert seine Erfahrung, dass mit einem schnellen Anwachsen alternativer Projekte oft auch ihre ursprünglichen Prinzipien verloren gehen.

Einen Internetshop mit Versand strebe man keinesfalls an, versichert Herbie ohne lange nachzudenken. Aber mit der neuen Idee eines Bio-Diversität-Abo wollen sie neue Kunden gewinnen und gleichzeitig den Abonnenten monatlich die existierende biologische Vielfalt an Produkten präsentieren, beispielsweise Gemüse der sogenannten Erhaltungssorten wie roter Mangold und lila Kartoffeln, zudem Wildkräuterpesto, Kamut-Nudeln oder gelbe Tomaten.

Herbie und Anne gehören zum dreiköpfigen Kollektiv »Schnittstelle« – ein Knotenpunkt in einem solidarökonomischen Netzwerk, an dem Produzenten und Konsumenten zusammenfinden. Die Schnittstelle organisiert den Vertrieb fair gehandelter Waren aus solidarischer Produktion in und um Berlin. Auf ihrer Website finden sich zahlreiche Querverweise zu solidarischer Ökonomie, nachhaltiger Landwirtschaft und kritischem Konsum.
Herbie und Anne gehören zum dreiköpfigen Kollektiv »Schnittstelle« – ein Knotenpunkt in einem solidarökonomischen Netzwerk, an dem Produzenten und Konsumenten zusammenfinden. Die Schnittstelle organisiert den Vertrieb fair gehandelter Waren aus solidarischer Produktion in und um Berlin. Auf ihrer Website finden sich zahlreiche Querverweise zu solidarischer Ökonomie, nachhaltiger Landwirtschaft und kritischem Konsum.
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