Anschläge gegen das Abzugskonzept

Afghanistan-Nord: Deutscher Hoffnungsträger tot / Afghanistan-Süd: ISAF brachte Kinder um

  • René Heilig
  • Lesedauer: 3 Min.
Bei einem Anschlag auf ein Sicherheitstreffen von afghanischen Militärs und Spitzenpolitikern und einer hochrangigen deutschen Bundeswehrdelegation in Nordafghanistan sind am Samstag zwei deutsche Soldaten getötet worden. Fünf weitere Soldaten, darunter auch General Markus Kneip, Chef der ISAF in Nordafghanistan, wurden verwundet.
Nie zuvor ist es den Taliban gelungen, einen General aus Deutschland oder einer anderen ISAF-Nation zu treffen. Nun liegt ein deutscher Zwei-Sterne-General im Feldlazarett. Was über General Kneip derzeit zu sagen ist, sprach er in den vergangenen Tagen oft selbst in Mikrofone: Dem Verletzten geht es den Umständen entsprechend gut.

Kneip war in Talokan eines der Anschlagsziele und hatte Glück. Bei den getöteten Deutschen handelt es sich um seinen Adjutanten, einen 43-jährigen Major aus dem Führungsunterstützungsbataillon 282 in Kastellaun und einen seiner Personenschützer, einen 31-jährigen Hauptfeldwebel des Feldjägerbataillons 152 aus Hannover.

Diese Mitteilungen, die das Einsatzführungskommando der Bundeswehr gestern bestätigte, sind jedoch zumindest unvollständig. Hinzugefügt werden muss, dass die Bemühungen um die Übergabe der Verantwortung an die afghanische Seite durch den Anschlag in Talokan einen herben Rückschlag erlitten haben.

Der von der Bundeswehr kommandierte Nordbereich galt bislang als der am ehesten zu befriedende, weshalb hier ISAF-Abzug und Machtübergabe beispielhaft ablaufen sollen. Und genau dort gelang es mehreren Selbstmordattentätern – vermutlich in Uniformen afghanischer Sicherheitskräfte – in den Gouverneurspalast von Talokan einzudringen und einen der wichtigsten Partner der Deutschen, den afghanische General Mohammed Daoud Daoud umzubringen.

Daud ist in vieler Beziehung ein unverzichtbarer Kabuler Machtfaktor gewesen – zuerst als Kommandeur der Nordallianz gegen die Taliban, dann als Vize-Innenminister, zuständig für die Bekämpfung des Drogenhandels – in den er angeblich tief verstrickt war – bis zum Chef der afghanischen Polizei im Norden des Landes. Ihm wäre nach der Machtübergabe zumindest in der für den Nachschub des Westens so wichtigen Region die entscheidende Rolle zugekommen.

Getötet wurde auch der Polizeichef der Provinz Tachar, Schah Dschahan Nuri, der Provinzgouverneur, Abdul Jabar Taqwa wurde verletzt.

Doch auch die ISAF verübte erneut einen Anschlag auf laufende Friedens- und Übergabebemühungen Bei einem Hubschrauberangriff der NATO im Südwesten sind zwölf Kinder – fünf Mädchen und sieben Jungen – sowie zwei Frauen getötet worden. Drei Kinder, eine Frau und zwei Männer seien verletzt worden, bestätigte der Sprecher des Provinzgouverneurs von Helmand am Sonntag.

ISAF-Hubschrauber seien am Samstag in den Bezirk Nawsad gerufen worden, um den Soldaten eines US-Stützpunkts beizustehen. Dabei seien zwei Wohnhäuser getroffen worden. Ein Stammesführer in Nawsad sagte gegenüber AFP, zwölf Mitglieder seiner Familie seien bei dem Angriff getötet und zehn weitere verletzt worden. Er habe gesehen, wie die Hubschrauber beschossen worden seien. Sie hätten zunächst abgedreht, seien nach zehn Minuten aber zurückgekehrt. Dann hätten sie Raketen abgefeuert.

Erst am Samstag hatte der afghanische Präsident Hamid Karsai vor weiteren Kollateralschäden gewarnt und gefordert, die heiklen »Night Raids« gegen Führer der Aufständischen von afghanischen Truppen durchführen zu lassen, da sie die lokalen Gegebenheiten besser kennen.

Nach einem solchen geheimen Nachteinsatz waren jüngst in Talokan vier Menschen getötet worden. Die Folge: Am 18. und 19. Mai kam es zu gewaltsamen Protesten vor dem deutschen Camp. 17 Menschen starben. Obwohl unmittelbar Untersuchungen angeordnet worden waren, ist bis heute nicht klar, ob deutsche Soldaten, die nachweislich in die Menge geschossen hatten, Zivilisten getötet haben.

Während die Bundesregierung an ihrer Afghanistan-Politik festhalten will, erneuerte Gregor Gysi, Chef der Bundestags-Linksfraktion die Forderung: Die Bundeswehr muss unverzüglich raus aus Afghanistan.«

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