Rau und ruppig im Tempel

Hans Neuenfels 70

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 3 Min.

Seine Stimme hat einen gebrochenen Klang, als hätte sich da einer heiser gerufen gegen das Gemäßigte, Geläufige, Gedämpfte, Gewöhnliche, Gegebene, Gesetzliche und Gesetzte. Die Heiserkeit erzählt von der Unermüdlichkeit des Anrennens wie von dessen Vergeblichkeit. Dies verschlissen Aufgeraute – nehmen wir es denn, etwas gewollt zugespitzt, als Gleichnis – berichtet von Genuss und dessen Folgen. Von allem zu viel, nur vom Leben nicht. Und dann noch der unvermeidliche gepunktete Seidenschal – das ist Zeichen von Stil wie auch flirrend gesetztes Signal des Gauklers.

Hans Neuenfels (Foto: dpa), heute vor siebzig Jahren in Krefeld geboren, ist von den radikalen Aufmüpfern des westdeutschen Theaters, wie es sich einreihte in den Schwung von Achtundsechzig, so ziemlich der letzte Skandaleur. Klar, die Skandale haben Altersflecken, die Avantgarde ächzt, die Provokationslust schließt längst mit dem Marktwert verträgliche Abkommen, indes: Der Schauspiel- wie Opernregisseur, der in Trier und Heidelberg begann, hat seine linke Schrecklaune nie begradigt.

Ein Leben lang hat sich seine Fantasie am Bildkosmos des frühen Bekannten und Beeinflussers, des Surrealisten Max Ernst, entzündet. Mit einer aufregend aufheizenden Fußball-Revue in Heidelberg begann es, Stuttgart und Frankfurt am Main setzten sie fort: die Stückformungen aus knallendem Chaos, frecher Anarchie und einem ewigen Duell von Eros und Tod. Neuenfels entdeckte Freudianisches in Brecht, er verkuppelte Shakespeares Blutrausch mit Kleists Seelenschrecken. Ein Exzessiver. Wundwühler. Jede Inszenierung war bewaffnet, und jede zog sie auch: die Axt, die das Publikum spaltete.

Fortsetzung folgte: die große Oper. Obwohl der Filmemacher und Romancier Neuenfels auch weiter im Schauspiel arbeitete (vor Jahren sein »Titus Andronicus« am DT Berlin: ein misslungener Heimatfindungsversuch), wurde er doch vorwiegend ein Aufstörer im Musiktheater – mit islamistisch befehdetem »Idomeneo« an Berlins Deutscher Oper und, kürzlich, dem späten Debüt in Bayreuth.

Der Weg zur Oper ließ einen Verdacht auf Logik zu: Ein politisiertes Schauspiel ermüdete, verlor durch ernüchternde Realitätsberührungen an sinnlicher Kraft – etwas, das einer Oper nie widerfahren kann, und zugleich eröffnete ein wohlfeil vertempelter ästhetischer Betrieb neue Möglichkeiten der Traditionsreizung. Die Oper als Höchstform einer dramaturgischen, rhythmischen Bindung, der man nicht entrinnen kann – und zugleich ein Raum, um weiter Rausch und Rage zu erzeugen. Um in Bann zu ziehen und gleichzeitig böse Blicke zu senden, die sich an bösen Wahrheiten entzünden.

Wieviel Musik der Mensch brauche, fragt Neuenfels in jüngst gesammelten Essays über Komponisten, erschienen in der Edition Heidenreich. Diese Dialoge mit Großen der Vergangenheit sind aufgeschrieben als sehr persönliche Gegenwarts-Begegnungen: Heimsuchungen bedrängendster Art. Diese bestürzend unmittelbaren Aufwartungen musikalischer Genies werden bei Neuenfels zu dem, was ihm Kunst immer wurde: eine obsessive Selbstforschung am Grenzgrat von Liebe und Hass, Existenz und Tod. Im August erscheint sein Buch über autobiografische Stationen, und der Titel ruft das gelebte Raue, Ruppige, Räudige wieder wach: »Das Bastardbuch«.

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