Qual und Kunst

»Hana, dul, sed – Eins, zwei, drei«: Ein hinreißender Film über nordkoreanische Fußballspielerinnen

  • Erich Hackl
  • Lesedauer: 5 Min.

Erstaunlich, dass der Film »Hana, dul, sed« erst jetzt, zwei Jahre nach seiner Fertigstellung, in die Kinos kommt. Dabei hätte es des aktuellen Anlasses – der Frauenfußballweltmeisterschaft in Deutschland – gar nicht bedurft, weil er zwei Sujets miteinander verbindet, die eher selten behandelt werden: Nordkorea und Frauenfußball. Vielleicht ist das lange Zaudern von Verleihfirmen der Tatsache geschuldet, dass sich Brigitte Weich und Coregisseurin Karin Macher gleich zwischen mehrere Stühle setzen, die allesamt von Männern gehalten werden, und dazu noch das Gebot missachten, Menschen in einem despotisch regierten Land als ganz und gar glücksfern und freudlos darzustellen.

In der letzten Nummer der Zeitschrift »Das Argument« haben die Kommunikationswissenschaftler Daniela Schaaf und Jörg-Uwe Nieland auf die unter dem Druck der herrschenden Sport-Medien-Wirtschafts-Allianz betriebene sexuelle Ästhetisierungsstrategie zugunsten einer Vermarktung der Sportlerinnen hingewiesen, die so dargestellt werden müssen, dass sie »als Projektionsfläche männlicher Begehrlichkeit« dienen. »Denn weiterhin gilt, daß Athletinnen zur Aufmerksamkeitsgenerierung dem neoliberalen Idealkörper entsprechen müssen, der eine Balance zwischen Androgynie und hetero-sexueller Attraktivität hält.« »Hana, dul, sed« unterläuft die beschriebene Strategie. Einmal, weil das nordkoreanische Regime kein Interesse daran hat, seine Fußballerinnen begehrlich erscheinen zu lassen (im Festhalten an sozialistisch eingefärbten patriarchalischen Geschlechterrollen verhindert es solche Sexualisierungstendenzen, was der Film auch zu erkennen gibt), zum zweiten, weil Weich und Macher nie der Versuchung erlegen sind, ihre Protagonistinnen aus kommerziellem Kalkül mit einem männlich konnotierten Blick zu betrachten. Trotzdem erscheinen einem diese Frauen als schön, und sie spielen auch »schöner« als die Frauen der anderen Teams – allein deshalb, weil sie arm sind und für ein armes Land antreten.

Weich hatte im September 2002, während des Filmfestivals von Pjöngjang, erstmals vom nordkoreanischen Frauenfußball reden hören und sich nach einigem Zögern entschlossen, ihre spontane Idee, dass man darüber einen Film machen sollte, selbst umzusetzen. Anfangs, weil sie niemanden fand, an die oder den sie das Projekt hätte weiterreichen können; dann, weil sie und die Kamerafrau Judith Benedikt vom beherzten Spiel des Nationalteams und vom uneitlen Verhalten der jungen Frauen außerhalb des Spielfelds so sehr ergriffen waren, dass sie es nicht mehr aus der Hand geben wollten. Dass sich die Dreharbeiten über sieben Jahre hinzogen, ist freilich weder ihrer Leidenschaft noch den Auflagen der nordkoreanischen Behörden anzulasten, sondern den Finanzierungsproblemen und den Schwierigkeiten, an das weitgehend von der FIFA monopolisierte und entsprechend kostspielige Archivmaterial zu kommen.

Dem Film hat die lange Entstehungszeit gut getan. So zeigt er seine Protagonistinnen – die Weich nach sporteigenen Motiven ausgewählt hat: eine Torfrau (Ri Jong Hi), eine Verteidigerin (Ra Mi Ae), eine Mittelfeldspielerin (Ri Hyang Ok), eine Stürmerin (Jin Pyol Hi) – nicht nur in ihrer Aktivzeit, sondern auch nach dem Umbau der Mannschaft Mitte des vergangenen Jahrzehnts: als sie schon dabei sind, in zivilen Berufen zu reüssieren und eine Familie zu gründen. Deshalb rückt auch, in der Darstellung der beruflichen und privaten Tätigkeiten, ihr sozialer Alltag ins Bild, ein für nordkoreanische Verhältnisse immens privilegierter Alltag selbstredend, doch einer, der mit so großer Geduld und Genauigkeit, und vor allem mit so viel Vertrauen zwischen den Menschen vor und denen hinter der Kamera, wohl noch nie dargestellt worden ist. Der Film gewährt Einsichten jenseits der offiziellen Schablonen- und Attrappenwelt, die er indes als inszenierte Realität der nordkoreanischen Gesellschaft nicht ausspart.

Wie Judith Benedikt erzählt, musste sie sich bei Aufnahmen im öffentlichen Raum an die amtlichen Vorschriften halten. Die Denkmäler des »Großen Führers« Kim Il Sung und des »Generals« Kim Yong Il zum Beispiel waren frontal und in ihrer Ganzheit zu filmen, ohne dass dabei für entwürdigend erachtete Stromkabel oder Straßenbahnoberleitungen ins Bild hängen durften. Aber diese und andere Auflagen schmälern nicht den ästhetischen Reiz des Films. Er strahlt eine Ruhe aus, die sich auf den Betrachter überträgt. Jede Einstellung wirkt überlegt und gleichzeitig absichtslos, wie selbstvergessen. Auch das ist einer der Vorzüge von »Hana, dul, sed« (eins, zwei, drei, auf koreanisch): dass die Filmemacherinnen als Gegenüber, im Off, zwar ständig präsent sind, aber diese Präsenz nie zelebrieren. Gerade deshalb nimmt einen der Film gefangen. Er entwickelt bei aller Zurückhaltung eine emotionale Kraft, die sich der Empathie der Filmemacherinnen verdankt, ihrer Fähigkeit also, Erfahrungen und Vorstellungen von Frauen in sich aufzunehmen, die in einer ganz anderen Kultur befangen sind. Veza Canetti hat diese Fähigkeit einst in ihrem Roman »Die gelbe Straße« zur Sprache gebracht, in einem knappen Dialog zwischen einer Mutter und ihrer Tochter, der im Vorwurf der Tochter gipfelt: »Du siehst nur dich in den andern wieder, Mutter.« »Das ist mein Halt, Diana«, erwidert diese. »Ich sehe die andern in mir«, sagt die Tochter, »das ist meine Qual.« »Und deine Kunst, Kind«, ergänzt die Mutter.

Vergessen wir aber nicht, daß ein Fußballfilm wie von selbst zu Herzen geht: wegen der Dramatik der Spielszenen und weil er gleichzeitig von einer kollektiven Anstrengung und von der daraus erwachsenden, durch sie begründeten Freundschaft handelt. Die Aufnahmen aus den Stadien, von den schmerzlichen Niederlagen gegen Nordkoreas historische Feindstaaten USA und Japan, laden »Hana, dul, sed« fast ohne Zutun der Filmemacherinnen emotional auf. Diese Emotionalität zu speichern, überzuführen ins Persönliche, Individuelle, das muss Weich und Macher jene Qual verursacht haben, von der Canettis Roman kündet. Aber sie ist dem Film nicht anzumerken.

»Hana, dul, sed« läuft ab 9 Juni in deutschen Kinos.

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