»Armer Ossi«

Osman Engin: »1001 Nachtschichten«

  • Irmtraud Gutschke
  • Lesedauer: 3 Min.

Immer wieder Lachsalven aus dem Publikum und ein Vorleser, der es darauf anlegt: Es ist seltsam, bei der Lektüre dieses Buches fühlt man sich nicht allein, sondern wie in einem Saal, wo Hochstimmung herrscht. Osman Engin, 1960 in der Türkei geboren, seit 1973 in Deutschland lebend, veröffentlichte schon eine Reihe von Büchern bei dtv, aber er hat vor allem auch Erfahrungen im Hörfunk. Für seine Radiosatiren erhielt er sogar den ARD-Medienpreis. Ein versierter Autor, der auf Pointen setzt, spielerisch wie es scheint. Doch niemand, der seine Texte liest (oder hört), wird den ernsten Hintergrund verkennen.

Ein Arbeiter am Fließband – wo in der deutschen Literatur wäre so einer noch zu finden. Osman heißt er wie der Autor, gut gelaunt ist er wie dieser, aber mitunter ist es eher Galgenhumor. Denn eigentlich, das ist ihm klar, sind seine Chancen in diesem Lande sehr begrenzt. Die ganze Zeit steht er am Rand des großen Lochs, in das diejenigen fallen, die nicht mehr gebraucht werden. Aber wer nun denkt, dass dies ein bitteres Buch sei, dem sei nochmals zugerufen: Nein, ihr werdet euch köstlich amüsieren, denn die erzählerische Idee des Osman Engin ist grandios.

»1001 Nacht in Deutschland«: So wie Scheherazade vor König Schahriyar um ihr Leben erzählt, tut es Osman für seinen Arbeitsplatz in Bremen.

Sein Meister mit dem bezeichnenden Namen Viehtreiber hat seine Kündigung schon auf dem Schreibtisch liegen und wird sie ihm so lange nicht aushändigen, wie Osman ihn mit Storys (und bald auch mit türkischen Gerichten) bei Laune und in Spannung hält. Auch wenn es real vielleicht so kaum möglich wäre, denn ein Meister ist wahrscheinlich nicht befugt, eine Kündigung aufzuschieben oder gar zurückzunehmen, wie es am Ende geschieht, so wie es hier dargestellt wird, ist es glaubwürdig, komisch und traurig zugleich.

Was sich Osman unter dem Druck der drohenden Entlassung nicht alles einfallen lässt – beginnend mit einem Mord in Schwerte über Urinverkäufer in der Türkei bis hin zu einem Imam, der Pornohefte kauft – wird nicht nur Meister Viehtreiber faszinieren. Action pur, wobei Osman sich immer wieder selbst zum Opfer bringt. Während Viehtreiber in den Pausen mit Freuden »schwulen-, tier- und ausländerfeindliche Witze« erzählt und die Belegschaft verpflichtet ist, »auf der Stelle laut zu lachen« (er, Osman, am lautesten, weil »die Ausländer auf allen Gebieten des täglichen Lebens viel mehr leisten müssen als die Eingeborenen, um akzeptiert zu werden«), sind ihm nur Witze über ihn selbst gestattet. Wie ein virtuoser Tanz, bei dem er immer mal wieder hinfallen muss, um Gelächter zu ernten, ist seine Erzählung.

»Armer Ossi«, nennt ihn seine Frau Eminamin mitunter. Und was würde er nicht alles tun, um ein angesehener Mann zu sein. Aber keine Chance. Wieder einmal hört er im Radio: »Die Türken verkaufen nur Gemüse und produzieren kleine Kopftuchmädchen, die wiederum nur zum Gemüseverkaufen taugen!«

Osman Engin: 1001 Nachtschichten. Mordstorys am Fließband. Deutscher Taschenbuch Verlag. 256 S., brosch., 8,95 €.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal