Was Meer ist, bestimmt der Kopf?

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Vielleicht ist dies der Urgrund unserer Verzweiflung: dass wir nicht fliegen können. Von daher des Menschen obsessive Überwindungsfantasien. Die Münchner Thomas Huber und Wolfgang Aichner, beide Bergsteiger, haben soeben ihre Kunstaktion zur 54. Biennale in Venedig abgeschlossen: Sie zogen über mehrere Wochen ein Boot, 150 Kilogramm schwer, über den Schlegeis-Gletscher in den Zillertaler Alpen. 1500 Höhenmeter wurden überwunden, immer das freie Assoziationsfeld im Blick: Sisyphos, Hannibals Elefanten, die Arche Noahs. Was Meer ist, bestimmt der Kopf. Man nennt das Weltanschauung.

Für seinen Film »Fitzcarraldo« ließ Werner Herzog vor Jahren ein Dampfschiff über einen Bergrücken im peruanischen Dschungel schleppen – die Besessenheit sucht sich immer wieder ein Gelände, wo sie die »Eroberung des Nutzlosen« (Herzog) betreiben kann ...


... Wo der Mensch eine Unentrinnbarkeit fühlt, dort treibt er sich eine Strapaze des Trotzes ins Fleisch. Wo ihn die Fesselung durch existenzielle Unausweichlichkeit plagt, dort erklärt er allen Grenzen den Krieg des Abenteuers. Wo er die Ohnmacht des Körpers spürt, gegenüber jenen Wuchtszenen, die ihm der Übersteigerungsdrang des Geistes macht – da geht der Mensch los, geht auf sich selber los, besteigt Berge, Boote, höhnt den Schwerkräften, reißt den Schmerz an sich, als wäre allein der schon die ersehnte Beute.

Welt, das war mal: Horizont, Wildnis. Es ist jetzt: Fußgängerzone, gut ausgeschilderte Wege für die Flucht vor Fragen. Wir haben die Beine unterm Tisch, wo treulich auch der Hund des Gehorsams sitzt. Das Wort vom Traumschiff ist zum Symbol unserer wohltemperierten Ideen von Bewegung und Ziel geworden. Ganz anders dieses Schiff und der Traum: Einmal die Augen lustvoll und qualbereit davor verschließen, was einem gemäß ist und was einem zusteht!

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