Auf allem lastet Angst

Francis Poulencs »Gespräche der Karmelitinnen« in der Komischen Oper Berlin

  • Irene Constantin
  • Lesedauer: 4 Min.
Leben inmitten der Starre
Leben inmitten der Starre

Francis Poulenc war ein musikalisches Chamäleon. Sein erstes aufgeführtes Stück machte als Nonsens namens »Rhapsodie nègre« Skandal. Man sang Texte wie »Honoloulou Honoloulou / Kati moko, mosi bolou«. Poulenc komponierte Kirchenmusik neben einem frivolen Ballet, glasklar federleichte Kammermusik neben der skurrilen Oper »Die Brüste des Teiresias«. Sein Opus summum aber ist die zutiefst ernste, letzte existentielle Fragen aufwerfende Oper »Dialogues des Carmélites«. Sie entstand 1953 bis 1956 auf der Grundlage einer Novelle von Gertrud von le Fort. Als Hugenottin geboren und in Mecklenburg aufgewachsen konvertierte sie später zum Katholizismus und vertrat eine Glaubensauffassung, die in hartem Gegensatz zur Nazi-Ideologie stand.

In der Oper geht es um 16 Karmelitinnen aus Compiègne, die 1794 im Zuge der Schreckensherrschaft nach der Französischen Revolution hingerichtet und 1906 als Märtyrerinnen selig gesprochen wurden. Die äußeren Vorgänge geben der Oper zwar ihr Handlungsgerüst, ermöglichen auch einige kleinere und mittlere Tenor- und Basspartien, eigentlicher Gegenstand jedoch ist die Suche der Frauen nach Wegen aus der Angst. Die Heldin der Oper ist die 16-jährige Blanche, die eine neurotische, auf allem lastende Angst vor dem Leben hat. Der einzige Mensch, der dies erkennt, ist ihr Bruder. Sie fasst den Entschluss, dem strengen Orden des Carmel beizutreten, um im starren Korsett der Ordensregeln überleben zu können.

Bühnenbildnerin Rebecca Ringst hob diese Starrheit mit vier Reihen bühnenhoher Aufbauten stählerner Bettgestelle in Bild. Die engen Gassen dazwischen nehmen das Leben der jungen Frauen auf. Aber auch in diesem eisern sicheren Kloster erlebt Blanche Angst, zuerst die offensichtliche kreatürliche Todesangst der unter Schmerzen sterbenden Priorin. Auch die fast hysterische Heiterkeit der jungen Nonne Constance, die munter ihr Leben opfern und jung sterben will, ist Blanche unheimlich.

Auf die subtileren Ängste der Nonnen versteht sich vor allem der Regisseur der »Karmelitinnen« in der Komischen Oper, Calixto Bieito. Aus inniger Kenntnis der katholischen Machtmechanismen hat der spanische Regisseur es vermocht, eine sehr feine Balance zu erzeugen, in der sich die Kirche gleichzeitig als Schutzraum und neurotisierendes Machtinstrument zeigt. Die Figur der Marie, strengste der Nonnen, steht bei Poulenc für den moralischen und körperlichen Druck, bei Bieito wird darüber hinaus jede Nonne für jede andere zur fürsorglich freundlichen Bewacherin. Das Gleichgewicht funktioniert, solange alles normal läuft. Bieito zeigt mit einer Leichenwaschung für die gestorbene Priorin auch einen rituell gelassenen Umgang mit dem Tod als natürlichem Lebensende. In der tödlichen Angst vor der äußeren Gewalt aber brechen sich die Pressionen gegen die jungen Frauen körperlich Bahn: Schreie, Zitterattacken, Stupor, gänzliche Weltverlorenheit.

Schließlich wachsen alle 16 Nonnen über sich selbst und ihre Todes- und Lebensängste hinaus. Sie opfern ihr Gelübde den unsinnigen Forderungen des »Grande Terreur« nicht auf, sondern gehen singend in den Tod. Ihr »Salve Regina« wird mit jeder Nonne, die unter einem brutal komponierten Fallbeil-Geräusch zu Tode kommt, dünner. Schließlich singt Constance allein. Plötzlich hört sie eine weitere Stimme. Blanche, der zuvor die Flucht gelang, stellt sich als letzte der Todesmaschine. Die Oper endet mit ihrer einsamen Stimme.

Die Komische Oper hat die Karmelitinnen jung und sehr jung besetzt, mit betont un-divenhaften Sägnerinnen. Damit hat diese Frauengemeinschaft, deren Dasein sich allein durch Gehorsam und Gebet, nicht mal durch karitatives Wirken rechtfertigt, eine erstaunliche Natürlichkeit. Hervorzuheben für das vorzügliche Ensemble: Mauree McKay als Blanche und Christiane Oertel als alte Priorin.

Subversiv die Musik: Scheinbar schafft sie ein Klima ruhiger, zuweilen heiterer Kontemplation. Stefan Blunier am Pult des Orchesters der Komischen Oper schafft glanzvolle, sehr vielfarbige Klänge in genau ausgewogenen Mischungen. Aber vor allem macht er die Fragilität der Lage dieser Nonnen hörbar, wenn er die in kleinen Motiven in sich kreisende Musik immer wieder opulent aufblühen lässt und gleich wieder zurücknimmt. Wie Versuche, ein Minimum an frischer Luft zu genießen, wirken diese Aufschwünge, bis sie gekappt werden. Erst wenn die wirkliche Gewalt einbricht, ändern sich Musiksprache und -gestus zum Ordinären, zum Gnadenlosen und schließlich zum tief Ergreifenden des verklingenden Gesangs. Es bleibt die Frage aller Revolutionen: sind sie ihre Opfer wert?

Calixto Bieito inszenierte keine weltenthobene Podiumsdiskussion zu moralischen Fragen, sondern richtete den Fokus auf das unausweichliche Ende des Diskurses – und wurde gefeiert für die Menschlichkeit seines Blicks dorthin.

Nächste Vorstellungen: 30.6., 3., 9. und 16.7.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal