nd-aktuell.de / 02.07.2011 / Kommentare / Seite 21

Die Zukunft gehört der Jugend

Arian Fariborz über HipHop und Rock-Musik als Ventil für politischen Protest in der arabisch-islamischen Welt

Herr Fariborz, welche Rolle spielen Musiker bzw. Künstler bei der arabischen Revolution in Ägypten, Tunesien, Libyen, Syrien oder Iran?
Fariborz: Sie haben in einigen Ländern eine beachtliche Rolle gespielt. Das macht das Beispiel der sogenannten »Jasmin-Revolution« in Tunesien, die den Diktator Ben Ali hinweggefegt hat, nur allzu deutlich. Der Song »Rayes le-Bled« des Rappers El Général (alias Hamada Ben Amor) avancierte in der »heißen Phase« des Volksaufstands zu einer Revolutionshymne, die die junge Facebook-Generation begeistert aufnahm und rasch in Umlauf brachte. Der 22-jährige HipHop-Star aus Sfax sprach mit dem Song vor allem der jüngeren tunesischen Generation aus dem Herzen. In »Rayes le-Bled« beschreibt er das Klima der Angst und den allgegenwärtigen Polizeistaat Ben Alis, die soziale Misere breiter Bevölkerungsmassen und den Reichtum einer kleptokratischen politischen Elite um den Diktator. So lauten seine Texte etwa: »Hey Präsident, dein Volk stirbt!/ Die Menschen hungern und leben wie die Hunde/ Und du lässt deine Polizei auf sie los!«

Welche Konsequenzen hatten diese deutlichen Worte für den Rapper Ben Amor?
Der Diktator ließ seine Polizeieinheiten auf den 22-Jährigen los. Am 6. Januar wurde er von 30 Polizisten zuhause aufgesucht und aufs Revier gezerrt, wo er für mehrere Tage festgehalten wurde. Neben Ben Amor gibt es noch viele weitere Musiker, die ihren Protest gegen die politischen und sozialen Missstände in ihren Liedern zum Ausdruck bringen: So etwa der Singer/Songwriter Bendirman, dessen Konzerte unter Ben Ali regelmäßig verboten wurden, da seine Songs zu regimekritisch waren.

Auch in anderen Ländern wie etwa in Iran während der Demonstrationen der grünen Protestbewegung im Sommer 2009 haben sich Musikerzirkel, Bands oder Initiativen im In- und Ausland gebildet. Sie haben die Proteste dort musikalisch begleitet und sich solidarisch mit der Reformbewegung gezeigt. Diese musikalische Protestwelle beschreibe ich in meinem Buch.

In Ägypten und Marokko ist Heavy Metal sehr populär, in Palästina und Algerien wird eher gerappt. Woher kommen die unterschiedlichen Vorlieben?
Tatsächlich lässt sich das nicht pauschalisieren. Auch in Marokko existiert eine vitale Metal- und Rockszene. Sie präsentiert sich alljährlich auf dem Boulevard de Jeunesse-Festival in Casablanca. Das Beispiel der Metal-Szene in Ägypten unterstreicht lediglich, wie eine Subkultur, die sich bis Mitte der 1990er Jahre zu einer beachtlichen Jugendmusikbewegung etablieren konnte, dem Staat und den religiösen Autoritäten zunehmend ein Dorn im Auge wurde. In der Folge wurde sie zerschlagen. Dieses Phänomen scheint mir bezeichnend für viele autoritär regierte Staaten im Nahen Osten und in Iran – allesamt Regime, die eine restriktive Kulturpolitik verfolgen.

Die populärste Rockband Irans, O-Hum, wurde 2005 verboten. Inwieweit sind Rock- und Pop-Gruppen unter Präsident Ahmadinedschad offiziell noch erlaubt?
Ihre kulturelle Freiheit verläuft in sehr engen Bahnen, sofern sie nicht den Auflagen des Ministeriums für Kultur und islamische Führung (»Ershad«) entsprechen. Mit anderen Worten: Sie landen in der Illegalität und versuchen, ihre Musik über das Internet bekannt zu machen. Das Internet ist vor allem in den autoritär regierten Staaten das primäre Medium zur Verbreitung zensierter Musikproduktionen. In Iran haben Underground-Rockmusiker, die im wahrsten Sinne des Wortes im Untergrund spielen müssen, da ihre Klänge bei den religiösen Obrigkeiten zu sehr anecken, keine andere Wahl, als auf das Internet zurückzugreifen. Allerdings fristen sie oft ein Schattendasein. Sofern ihre Musik verboten ist, dürfen sie nicht öffentlich auftreten oder ihre Produktionen auf Tonträgern verbreiten. Sich als professioneller Musiker durch das Labyrinth an Restriktionen zu winden, gleicht da schon einem Spießrutenlauf.

Worüber singen die iranischen Bands heute?
Viele musikbegeisterte junge Iraner schwören derzeit auf iranische Rock- und Blues-Bands wie O-Hum und Abjeez, aber auch den Singer/Songwriter Mohsen Namjoo. Sie treffen den Nerv der Jugend, indem sie die gesellschaftliche Tristesse in der Islamischen Republik, die fehlenden persönlichen Freiheiten, das oktroyierte religiöse Regelwerk aus Ge- und Verboten mit ihren Songs in Frage stellen. Auf diese Weise sprechen sie der jüngeren Generation – und zwar nicht nur der gehobenen Mittelklasse – aus dem Herzen.

Haben die jungen Musiker Möglichkeiten, sich der Kontrolle durch Mullahs und Tugendwächter zu entziehen, die Popmusik als »westlich-dekadentes Teufelszeug« brandmarken?
Den Bands gelingt es, dank ihrer sehr kreativen, originellen und metaphernreichen Spielweise und Texte, der Jugend Hoffnung zu geben. Sie brechen das erstarrte Gesellschaftsgebäude um sie herum auf, wobei plumper politisch angehauchter Agit-Prop völlig fehl am Platz ist.

Welche Konsequenzen hat es für die iranischen Musiker, gegen die Auflagen des Ministeriums für Kultur und islamische Führung zu verstoßen?
Sie werden mit Auftrittsverboten belegt oder dürfen keine Tonträger mehr herausgeben. Falls sie sich daran nicht halten sollten, drohen ihnen Strafen und unangenehme Befragungen.

In einigen iranischen Provinzen sollen Zentren für regionale Musik entstehen. Ist das ein Versuch, westlich beeinflusste Musik zu verdrängen?
Das ist mir nicht bekannt. Sollte das tatsächlich der Fall sein, dann ist das gewiss ein Versuch, eine bestimmte traditionelle Musikkultur zu fördern.

Ortswechsel: Die bekannteste palästinensische HipHop-Gruppe ist DAM. Das bedeutet auf Hebräisch »unbesiegbar«, auf Arabisch »Blut«. Welchen Einfluss haben solche Bands auf die Jugend?
Einen großen, zumal die palästinensische Jugend eher über Musik zu erreichen ist als über die immer gleichen schnöden Parolen und Versprechen der politischen Führer, derer sie seit Langem überdrüssig sind. Ihre Musik ist Ausdruck von Verweigerung und sozialem sowie politischem Protest. Damit zielen sie bewusst gegen die Herrschenden in ihrem Land – sowohl gegen die Hamas als auch gegen die Fatah. Man darf nicht vergessen, dass in jüngster Vergangenheit Hip-Hop-Musiker von der Hamas verfolgt wurden, der diese Musik als westlich-dekadent und zu rebellisch gilt. Und auch die Fatah dürfte es nicht als besonders schmeichelhaft auffassen, wenn palästinensische Rapper in ihren Songs die grassierende Korruption der politischen Eliten im Westjordanland anprangern.

Kann Musik zur Versöhnung zwischen der neuen Generation der Israelis und der Palästinenser beitragen?
In jedem Fall. Es gab bereits in der Vergangenheit engagierte Musikkooperationen und Projekte zwischen israelischen und arabischen Musikern. Bandformationen, die ihre Hoffnung in eine Wiederaufnahme der festgefahrenen Nahost-Friedensgespräche und einen neuen gesellschaftlichen Dialog zwischen Israelis und Palästinensern Ausdruck gegeben haben. Auch wenn heute der Frieden in weite Ferne gerückt zu sein scheint, glaube ich, dass die jüngere Generation in dieser Region an diesem Ziel festhalten wird. Dass irgendwann die Mauern in den Herzen fallen werden und die offensichtlich gescheiterte Politik der älteren Generation, der greisen Funktionäre und Apparatschiks, ein Ende haben wird. Die Zukunft gehört der Jugend.

In den 90ern wurden in Algerien populäre Rai-Sänger wie Cheb Hasni von Islamisten ermordet. Die Thrash-Metal-Band Acrassicauda aus Bagdad bekam Morddrohungen und musste Irak 2006 verlassen, nachdem in ihrem Proberaum eine Bombe explodierte. Sind die Islamisten für die Bands inzwischen gefährlicher als der repressive Staat?
Die Islamisten stellen tatsächlich für viele junge Kulturschaffende eine große Gefahr dar – schon allein deshalb, weil sie versuchen, der Jugend ihre orthodoxen Glaubensvorstellungen aufzuzwingen. Ihre Toleranz verläuft in sehr engen Bahnen. Das gilt übrigens für den gesamten islamisch geprägten Raum. Militante Islamisten schrecken vor physischen Attacken oder Mord nicht zurück. Sie brandmarken künstlerische Produktionen als westlich-dekadent oder ketzerisch. Erschreckende Beispiele für diese Intoleranz und Verfolgung von unabhängigen Kulturschaffenden findet man von Jakarta bis Rabat.

Im syrischen Exil spielte Acrassicauda 2006 ein Konzert und nahm dort auch eine Demo-CD auf. War al-Assad vor der syrischen Revolution liberaler als andere arabische Despoten, was Kunst und Kultur betrifft?
Das glaube ich nicht. Vielleicht hat einer der vielen syrischen Geheimdienste geschlafen und den infernalischen Lärm nicht mitbekommen? Nein, ich glaube, dass sofort der Stecker gezogen worden wäre, wenn die Band irgendetwas gegen das Baath-Regime gesagt hätte. Von einem liberalen Kulturklima in Syrien kann nicht die Rede sein. Alles wird dort vom Staat kontrolliert.

Welchen Stellenwert haben Rock- und Pop-Sänger in der arabisch-islamischen Welt? Gibt es dort eine ähnliche Star-Anbetung wie bei uns?
Bei den Musikern, die ich in meinem Buch vorstelle, handelt es sich nicht um die Stars der Mainstream-Rock- und Popszene, die über kommerzielle Sender wie Rotana-TV in der arabischen Welt allgegenwärtig sind. Ich stelle Bands und Musiker vor, die in der Öffentlichkeit eher ein Schattendasein führen, da sie mit ihren Klängen zu sehr anecken. Populär sind sie aber gewiss innerhalb bestimmter alternativer Musikkreise: Die Rede ist hier von den iranischen Rockbands Ohum oder Abjeez, aber auch von HipHop-Gruppen wie der palästinensischen Rap-Crew DAM, der algerischen Band »Le Micro brise le silence« (MBS) und den ägyptischen Rappern von »Arabian Knightz«. Fakt ist, dass all diese sehr überzeugenden, originellen Bands schon allein aufgrund fehlender Spielräume kaum Chancen hatten, auch international wahrgenommen zu werden.

Fragen: Olaf Neumann

Einspruch: Wessen Kultur?

Auf einer Berliner Podiumsdiskussion der Anna-Lindh-Stiftung und der Allianz Kulturstiftung – Titel: »Die Rolle von Kultur und Kulturpolitik in Zeiten des Wandels in der arabischen Welt« – wurde ein Missverständnis beim Reden über »Kultur« offenbar, meint unser Autor.

Seit 400 Jahren kommen Europäer in den Maghreb und sagen: »Wir wollen unser Bestes für eure Entwicklung leisten« – auch in der Kultur. Was in solchen Beteuerungen fehlt, aber häufig mitschwingt, ist der Nachsatz: »solange ihr euch in unsere Richtung entwickelt«. »Entwicklung« ist gut, solange ihr ein europäisch-bürgerliches Kulturverständnis zu Grunde liegt.

Uns im Norden sind – wenn überhaupt – nur kleinbürgerliche Künstler, Schriftsteller, Filmemacher aus den arabischen Ländern bekannt. Aber welche Schriftsteller aus der Region beschreiben die Lage der Landarbeiter und Bauern? Gibt es sie? Wir wissen es nicht. Nichts wissen wir über die Lebensweise, das alltägliche Denken der Menschen aus den untersten sozialen Schichten. Über die Menschen also, die nicht beteiligt waren an den Mittelklasse-Aufständen in Tunesien, Ägypten, erst recht nicht in Libyen. Diese Bevölkerungsschichten sind vom öffentlichen Leben – und von der Kultur, wie sie hier verstanden wird – praktisch ausgeschlossen.

Mit irgendwelchen »Moderne Poesie-Lesungen im alternativen Open-Air-Theater im Zentrum Kairos« werden die Anna-Lindh-Stiftung und ähnliche interessenpolitische europäische Netzwerke diese Menschen jedenfalls kaum erreichen.
Martin Lejeune

Arian Fariborz: In seinem detailliert recherchierten Buch »Rock The Kasbah. Popmusik und Moderne im Orient« (Palmyra Verlag, 182 S., brosch., 17,90 €) untersucht der in Hamburg geborene Politik- und Islamwissenschaftler Arian Fariborz Musik als Ventil für sozialen und politischen Protest in der arabisch-islamischen Welt.