»Voeckler in Gelb in Paris?«

Die Radsportwelt staunt über den Franzosen

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 3 Min.

Lance Armstrong weiß es, die »L'Equipe« fragt es, nur der Protagonist selbst wehrt die neuen Ehren – noch – ab. »Wenn Voeckler in den Bergen mit den Besten ankommt, muss man sagen, dass er die Tour gewinnen kann«, twitterte der Amerikaner während des Aufstiegs zum Plateau de Beille. Voeckler kam nicht nur mit den Besten ins Ziel. Er guckte sie sich auf der Hälfte des Anstiegs aus. Er studierte ihre Gesichter. Und dann, zwei Kilometer vor dem Ziel, trat er an. Der Franzose vom zweitklassigen Rennstall Europcar kam zwar nicht weg. Aber neben dem Italiener Ivan Basso wirkte er am frischesten in der Favoritengruppe: stärker als der lädierte Alberto Contador, die Schleck-Brüder und der Australier Cadel Evans. Die Art und Weise, wie Voeckler in dünner Pyrenäenluft Gelb verteidigte, veranlasste die Sportzeitung »L'Equipe« zur Frage: »Voeckler in Gelb in Paris?«

Voeckler selbst wehrt noch ab. »Ich bin keine Maschine. Irgendwann werde ich nachgeben müssen«, sagte er am Start zur 15. Etappe. Er wies auf seine »Vorliebe für die Pyrenäen anstelle der Alpen« hin. Und er sagte, dass ihm Zeitfahren nicht so sehr liege. Dass Voeckler überhaupt schon an das Zeitfahren denkt, zeigt, dass er sich mit der Vorstellung, auf den Champs Elysees das Podium zu erklettern, durchaus beschäftigt.

Das verblüfft. Eine ganze Dekade lang pflegten die Franzosen das Bild vom »Peloton der zwei Geschwindigkeiten«. Danach gab es die, die mit »klarem Wasser« fahren, viel Kraft in Ausreißversuche investieren und in den Bergen regelmäßig abgehängt werden. Und die, die unter permanentem Dopingverdacht standen und in Gipfelshöhen brillierten. »Wir haben seit vielen Jahren ein umfassendes Antidopingmonitoring. Wir wissen, wie wir unsere Leistungen erreichen. Bei den anderen wissen wir das nicht«, sagte FDJeux-Chef Marc Madiot noch vor einem Jahr.

Jetzt ist der Abstand seiner Männer zu den Besten geringer geworden. Jeremy Roy, einer der FDJeux-Profis, ist mit 650 km der Ausreißerkönig der Tour de France. Er bezwang mit dem Tourmalet und Col d'Aubisque zwei der gefürchtetsten Pyrenäengipfel im Alleingang. Ganz knapp nur schrammte er an einem Etappensieg in den Pyrenäen vorbei.

Pierre Rolland, Teamgefährte von Thomas Voeckler, begleitete seinen Kapitän bis hoch zum Plateau de Beille. Europcar hatte zwei Fahrer in der Favoritengruppe. das gleiche Kunststück gelang nur noch Team Leopard mit den beiden Schlecks. Evans, Basso und Contador waren allein. Rolland führt seine Verbesserung auf einen neuen Trainer zurück – Jean-Philippe Robert. Vor der Tour prophezeite er seinem Fahrer: »Du kannst mit den Besten mithalten.« Rolland, 2008 Bergkönig der Dauphiné, danach aber in ein Leistungsloch gefallen, war skeptisch. Doch dann merkte er: Die Prognose stimmt. »Ich hatte plötzlich keine Angst mehr vor den Favoriten«, erklärte Rolland. Puh, wenn es so einfach ist, dann werden jetzt die Profis Schlange stehen bei Robert und vielleicht sogar Michele Ferrari, dem alten Dopingpräparateur, abtrünnig werden.

Voeckler schließlich erklärt seine Leistung »mit den besten Beinen, die ich je hatte«. Er meinte aber auch: »Selbst mit den Beinen von 2011 hätte ich 2004 mit Armstrong und Basso nicht mitgehalten.« Damals verteidigte er ebenfalls auf dem Plateau de Beille sein gelbes Trikot. Er verlor aber 4:42 Minuten auf den Amerikaner und den Italiener. Am Samstag war er gleich auf mit Basso. Und Armstrong twitterte seinen Respekt.

Der kleine Elsässer und seine Landsleute sind näher an die Besten heran gerückt. Was diese Nähe verursacht, eine größere physische und mentale Stärke der sauberen Franzosen bei gleichzeitigem Pharmazieabbau der anderen oder eine Adaption der Gatsgeber an die Methoden der geschmähten Ausländer, ist momentan nicht zu entscheiden. Vielleicht war das Bild des zweigeteilten Pelotons ohnehin nur eine Mär, die eine Leistungsdelle kaschieren sollte. Auf alle Fälle träumen jetzt nicht mehr nur tschechowsche Landadlige von Paris, sondern sogar Radprofis aus Frankreich.

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