Zwischen »Kojak« und Sozialismus

Slowenien: Maribors Konzept als »Europas Kulturhauptstadt 2012« ist breit und bodenständig

  • Michael Müller
  • Lesedauer: 6 Min.
Malerisches Maribor im Tal der Drava
Malerisches Maribor im Tal der Drava

Die Drava schiebt sich wie immer bedächtig dahin. Dazu, so ließe sich für diese Sommernacht hinzufügen, unbeeindruckt. Obwohl ihr Flanierufer im slowenischen Maribor bebt. Das Epizentrum bildet »Zemlja Gruva«, die hippe Jazz-Rockband aus Belgrad. Die Menge vor der Bühne wiegt sich im Takt, singt mit, jubelt. Auch Nada und Maxi, Lehrerstudentinnen Anfang 20, sind gepackt, wähnen sich wohl schon, wie der Bandname verheißt, im Land des Groovs. »Außer in den Studentenklubs ist hier sonst in der Stadt nicht unbedingt viel los«, sagt Nada etwas atemlos. »Aber dieses Lent-Festival im Sommer ist immer echt super«. Auch die anderen Besucher, die da am Dravaufer in dieser Nacht mit Kind und Kegel unterwegs sind zwischen Rock und Rummel, Laienkunst und Lasko Pivo, schauen ähnlich glücklich. »Schade, dass übermorgen schon Schluss ist«, meint Maxi.

Doch da gibt es längst einen echten Hoffnungsschimmer für die nach der Hauptstadt Ljubljana zweitgrößte slowenische Stadt, die ebenso malerisch an der Drava wie idyllisch am Fuße von Pohorje und Slovenske Gorice liegt. Zwar nicht mehr für diesen Sommer, aber für 2012. Dann nämlich ist Maribor – gemeinsam mit dem portugiesischen Guimaraes – Kulturhauptstadt Europas.

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Natürlich lesen sich die Mariborer Pläne dafür viel, viel ambitionierter als die für die 14 Tage Lent-Festival. Dennoch dürfte diesem alljährlichen Jedermanns-Mix aus Musik und Theater, Kinderfesten und Folklore, Ausstellungen und Kabarett eine Pilotfunktion zukommen. »Und natürlich haben wir das Lent-Festival auch selbst als einen Höhepunkt in unserem Gesamtprogramm«, betont Jasmina Holc, PR-Chefin des städtischen Projekt- und Organisationsinstituts »Maribor 2012«.

Gut zwei Drittel aller Kulturhauptstadt-Ereignisse, also rund 300, stünden bereits fest, ist zu hören. Vollständig solle das Gesamtprogramm bis zum Herbst sein, versichert Suzana Zilic Fiser, Generaldirektorin von »Maribor 2012«. Dass sich besonders die Zubereitung der exklusivsten Veranstaltungsbonbons im letzten Vorbereitungsjahr zum spannenden bis schmerzhaften Prozess hinzieht, ist auch in vielen der bisherigen Kulturhauptstädte Europas nichts Ungewöhnliches gewesen. Ähnlich in Maribor, und mit ähnlichen Gründen: Die vielen Millionen Investitionseuros, mit denen man vor Jahren zu planen begann, sind durch die Realität inzwischen halbiert bis geviertelt worden. Und auf diesen Schrumpfetat ist heute eben bezogen, wenn der Investitionsträger, also die Stadtverwaltung, an »Maribor 2012« meldet: Projekt- und Bauverlauf im Plan!

Doch das besondere Fluidum europäischer Kulturhauptstädte, vor allem solcher, die es nicht so dicke haben (wie es beispielsweise das Ruhrgebiet 2010 hatte), liegt erfahrungsgemäß weniger in Neubauten denn in neuen Ideen. Und die werden in Maribor sowohl die Hochkultur durchziehen, wie etwa bei einem höchst ambitionierten Rebecca-Horn-Projekt, als auch die alltagskulturellen »Urbanen Furchen«, wie ein Programmpunkt heißt. PR-Chefin Jasmina Holc nennt als Stichworte ein Alternativkaufhaus und ein Selbsthilfezentrum für sozial Benachteiligte, ein Projekt »Laptops für jeden«, ein Haus der Wissenschaft, eine Saatgutbibliothek. Das entspreche genau dem Gesamtanspruch für 2012: Den öffentlichen Dialog gemeinsam mit den kulturellen Werten fördern und zwar nachhaltig über 2012 hinaus.

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Wer sich in Maribor verabredet, trifft sich, denn die Stadt ist ja bei rund 100 000 Einwohnern nicht allzu groß, gewöhnlich beim »Kojak«. So, nämlich nach dem glatzköpfigen TV-Serien-Chief-Detectiv, nennt hier der Volksmund ein ebenfalls kugelförmiges Denkmal in der Altstadt. Das in Erinnerung an die während der Nazi-Okkupation hingerichteten Widerstandskämpfer an eine Welt gemahnt, in der alle Platz haben. Es stammt aus den 70er Jahren der sozialistisch-föderativen Zeit. Aber kein Stadtoberer Maribors wäre deshalb nach der jugoslawischen »Wende« auf die Idee gekommen, »Kojak« zu entsorgen. Wie ebenso keiner eine Mehrheit dafür bekommen hätte, die Tito- oder Partisanenstraße umzubenennen, die sich ganz in der Nähe kreuzen.

Was heißen will: In der Europäischen Kulturhauptstadt 2012 wurde in den letzten 20 Jahren nicht wie in manch anderem europäischen Ostort kopflose Kulturstürmerei betrieben. Mehr noch. Maribor plant für 2012 eine einzigartige neuzeitliche europäische Ausstellung unter dem Motto »Heroes we love – Höhepunkte des sozialistischen Realismus«. Generaldirektorin Suzana Zilic Fiser ist sich sicher, dass »es an der Zeit ist, sich dem Thema mit einer entspannten geschichtlichen Distanz und mit der Unbeschwertheit der jüngeren Generation« zu nähern. In der Liste der osteuropäischen Kunst, aus der die »oftmals vergessenen, verspotteten, versteckten und abgeschobenen« (Suzana Zilic Fiser) Leihgaben kommen, tauchen bisher übrigens nur zwei relevante Länder nicht auf: die Sowjetunion und die DDR.

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Dafür, dass Maribor 2004 die nationale Unterstützung bekam, sich als Kulturhauptstadt 2012 bewerben zu können, soll das soziale West-Ost-Gefälle in Slowenien den Ausschlag gegeben haben; der Osten ist eben auch dort entwicklungsbedürftiger. Andere sagen, die Hauptstadt Ljubljana hätte mit dieser Entscheidung einfach Front gegen eine ewige Rivalitätslosung gemacht, die da in Maribor lautet: »Es geht sowieso immer alles nach Ljubljana«. Wie auch immer: Maribor ist dabei, aus der Situation etwas zu machen. Bodenständig und breit. Dafür holte es sich von Anfang an ostslowenische Partnerstädte mit ins Boot: Murska Sobota, Ptuj, Velenje und Slovenj Gradec im Umkreis von etwa 50 Kilometern sowie Novo Mesto etwa 80 Kilometer nach Süden.

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In Ptuj beispielsweise, der aus der Römerzeit datierenden ältesten Stadtgemeinde Sloweniens, erläutert Bürgermeister Stefan Celan, wie einige Räume eines einstiges Dominikanerklosters für Kunst und Kultur umgenutzt werden. Und er schwärmt von »den elf tollen internationalen Ethno-Tagen«, zu denen das traditionelle Kurentovanje im Februar erweitert wird. Das ist ein für Südosteuropa typischer, den Winter vertreibender, den Frühling begrüßender Karneval, bei dem einer von Hunderten Maskenträgern der Bürgermeister seit Jugendjahren selbst ist.

Auch in der Bergbau- und Energiestadt Velenje wird man vor allem auf Traditionelles setzen. Rund 100 000 Kinder und ihre Eltern kommen alljährlich im September hierher, wenn Pippi Langstrumpf für eine Woche – etwa so wie in Köln die Karnevalsnarren – das Stadtzepter übernimmt. »Ende der 80er Jahre hatte das mal ganz klein angefangen«, erzählt Breda Meza, 23-jährige Studentin und amtierende Pippi, »nächstes Jahr wollen wir den Besucherrekord möglichst doppelt brechen«. Und da Pippi, wie wir von Astrid Lindgren wissen, nicht nur frech und stark, sondern auch klug ist, wird es wohl damit was werden.

Zu den rund 20 Attraktionen, die man in Velenje für 2012 zusammenstellt, gehört wie bei den anderen Partnern übrigens ebenfalls Zeitgeschichte. Was sich hier besonders anbietet. Neu Velenje war nämlich, vergleichbar mit Eisenhüttenstadt (Stalinstadt) in der DDR, erst nach 1945 gegründet und gebaut worden und liefert auch heute noch ein Drittel der slowenischen Elektro- und Wärmeenergie.

So gehört beispielsweise das Bergbaumuseum mit toll in Szene gesetztem unterirdischen Schaubergwerk zum Kulturhauptstadt-Programm. Ebenso die ständige Ausstellung im Schloss von Alt Velenje über die sozialistischen Jahrzehnte. Alles, von der Losung »Der Arbeit Ehre und Macht« bis zum Alltag der Kinderkrippe akribisch, ganz sachlich dokumentiert. Keine Häme, kein Verriss – und somit kein Vergleich zu einem leider ganz und gar nicht vergleichbaren »DDR Museum« in Berlin. Stattdessen eben kulturvoll. Was wohl nicht die schlechteste Voraussetzung sein sollte, als »Europäische Kulturhauptstadt« zu bestehen.

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