nd-aktuell.de / 03.08.2011 / Politik / Seite 15

Vom Online-Aktivismus zum Hacktivismus

Das Konzept »Online-Demonstration« umfasste mehr als der Anonymous-Ansatz, heute ist es vergessen

Ralf Hutter
Es gab eine kurze Zeit, da firmierten Angriffe auf Internet-Präsenzen als Online-Demonstrationen. Ein Mann, der im Jahr 2001 an einer viel beachteten Aktion gegen die Fluggesellschaft Lufthansa beteiligt war, gibt einen Rück- und einen Ausblick.

Was zur Zeit in aller Welt unter dem Etikett Anonymous Aufsehen erregt, sieht er durchaus mit Sympathie. Christoph würde aber selbst ein anderes Konzept verfolgen. Der Berliner hat beruflich mit Computern und Internetservern zu tun, steckt also in der Materie drin. Politik macht er in dem deutschlandweiten Verein Libertad!, der sich vor allem gegen Gefängnisse und Folter und für den Erhalt von Freiheitsrechten einsetzt. Bei den Anonymous-Aktionen fehlt Christoph die Rückkopplung von Online- und Straßenprotest, wie sie vor über zehn Jahren unter seiner Mithilfe gelang – unter Erregung riesigen Aufsehens.

Damals, berichtet der Aktivist, sei Libertad! mit einer Aktionsidee auf die Kampagne »Deportation Class« zugegangen, die Öffentlichkeitsarbeit gegen die vielen Abschiebeflüge seitens der Fluggesellschaft Lufthansa machte. Die Idee: Den Protest ins Internet tragen – aber nicht nur in Form von Beschwerde-E-Mails und Mobilisierung per Internet-Auftritt und E-Mails, sondern durch tatsächliche Störung, durch Behinderung von Lufthansa.

Online-Aktivismus gab es damals schon – nun sollte der Hacktivismus kommen. Hacken bedeutet ja erst mal nicht, wie viele Menschen glauben, in Sicherheitslücken zu stoßen oder gar Daten zu stehlen, sondern vor allem, Computer sehr gekonnt und kreativ einzusetzen. Und kreativ war die Idee, eine Online-Demonstration parallel zu einer in der physischen Welt zu organisieren.

Monatelang wurde für den 20. Juni 2001 nicht nur zu einer Kundgebung vor der Aktionärsversammlung der Lufthansa mobilisiert, sondern auch zu einer Online-Demonstration, die nichts anderes war als eine DDoS-Attacke, wie sie heute vor allem durch die Anonymous-Aktionen bekannt sind. DDoS steht für Distributed Denial of Service, was übersetzt verteilte Dienstblockade heißt und die Folge einer Überlastung von Computersystemen ist.

Der Unterschied: »Ohne die Deportation-Class-Kampagne hätten wir das damals nicht gemacht«, sagt Christoph, »auch nicht ohne die parallele Kundgebung vor der Aktionärsversammlung.« Es ging also um die Mobilisierung von Menschen für ein politisches Thema und nicht um den Online-Kampf an sich, wie bei den Anonymous-Hackern.

Schaden sollte freilich schon angerichtet werden: »Wir wollten die Onlinedienste lahmlegen«, erklärt der Aktivist, der an der Vebreitung der ausgeklügelten DDoS-Software beteiligt war, die sich die Teilnehmenden auf ihre Computer luden. Doch seien bewusst nicht alle Möglichkeiten, die Lufthansa-Server zu bedrängen, ausgeschöpft worden – der wohl größte Unterschied in der Stoßrichtung, verglichen mit den heutigen DDoS-Attacken. »Eines unserer Ziele war, das Internet als Aktionsraum zu öffnen«, führt Christoph aus. Lufthansa hatte vorher eine Online-Expansionsstrategie verkündet – nun sollten alle Protestwilligen dem Unternehmen ins Internet folgen können.

Doch über die technisch erfolgreiche Aktion hinaus – weit über 13 000 Menschen sollen daran teilgenommen haben, zwei Stunden lang keine Flüge buchbar gewesen sein – hat das nicht allzu gut funktioniert. »Die Aktion brachte keinen großen Schub«, hält Christoph fest. Nachahmungen habe es in nennenswertem Umfang nicht gegeben, vermutlich wegen zu geringer Technikaffinität bei in Frage kommenden Polit-Gruppen. Dabei wurde die Blockade der Lufthansa-Dienste nach Jahren der massiven Kriminalisierung, einschließlich Razzien und Beschlagnahmungen, letztinstanzlich für legal erklärt, da sie auf Meinungsbildung abgezielt habe.

»Das ist aber kein pauschaler Freibrief«, urteilt der Journalist Matthias Monroy, Redaktionsmitglied der Zeitschrift »Cilip. Bürgerrechte und Polizei«, die sich in ihrer aktuellen Ausgabe der polizeilichen Aufrüstung für den Online-Kampf widmet. Die neuen »Cybercrime«-Strukturen müssten Handlungsfähigkeit beweisen, fürchtet Monroy. »Gerade wegen der aktuellen Hackerwelle ist eine Kriminalisierung möglich«, glaubt er, selbst wenn die in manchen Fällen letzten Endes nur ein Klopfen auf den Busch wäre.

Fakt ist jedenfalls: Nach dem demonstrationsfreundlichen Lufthansa-Urteil wurden Gesetzgebung und Rechtssprechung zu DDoS-Attacken verschärft.