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»Endlich kommen die Amis!«

Im südrumänischen Dorf Deveselu weckt das Raketenabwehrsystem der USA große Hoffnungen

  • Silviu Mihai, Deveselu/Bukarest
  • Lesedauer: 6 Min.
Die Regierung der USA entschied im Mai, Teile ihres umstrittenen Raketenabwehrsystems in Rumänien zu errichten. Staatspräsident Traian Basescu ist hoch zufrieden: Rumänien wird zu einem wichtigen Bündnispartner der Vereinigten Staaten. Und die 3000 Einwohner von Deveselu sehen Grund zur Hoffnung.
Ob die Amis auch auf die Kühe von Deveselu Rücksicht nehmen?
Ob die Amis auch auf die Kühe von Deveselu Rücksicht nehmen?

Bürgermeister Gheorghe Beciu steigt stolz auf die Bühne, die Schärpe in den Landesfarben quer über der Brust, das Mikrofon zur Hand. Hinter ihm bereiten sich Volksmusiker aus der Region auf ihren Einsatz vor, Dorfbewohner drängen sich auf dem kleinen Hof des neuen Gemeinschaftshauses, in einer Ecke gibt es Bier und Würstchen ohne Haut, eine beliebte rumänische Grillspezialität.

Der 56-jährige Beciu hat wichtige Botschaften zu verkünden: »Ständig treffen neue E-Mails ein«, erklärt er dem Publikum. Ein US-amerikanischer Diplomat aus Bukarest etwa meldet sich auf elektronischem Wege zu Wort. »Leider kann kein Mitarbeiter der USA-Vertretung an dem heutigen Dorffest teilnehmen. Der Herr Botschafter freut sich aber auf die künftige Zusammenarbeit mit Behörden und Bewohnern«, liest Beciu vor. »Unser Dorf, Deveselu, ist zu einer internationalen Marke geworden«, resümiert der Bürgermeister unter großem Beifall.

In der Tat macht der kleine Ort im Südwesten Rumäniens seit drei Monaten Schlagzeilen. Ausgerechnet hier, in der historischen Walachei, wollen die USA ab 2015 Teile ihres umstrittenen Raketenabwehrsystems stationieren – zur Freude der rumänischen Regierung und der Bürger von Deveselu, die sich von der unerwarteten Entscheidung ein besseres Leben erhoffen. Denn die 24 Abfangraketen vom Typ SM3 und vor allem die rund 200 amerikanischen Soldaten könnten dafür sorgen, dass das Dorf Arbeitslosigkeit und Armut überwindet – hofft man zumindest.

Darüber hinaus erwarten die 3200 Einwohner eine bessere Infrastruktur: »Die werden ihre Geräte ja nicht durch unsere Straßenlöcher scheppern lassen«, heißt es in einer Gruppe von Männern am Rande des Dorffestes.

Es war an einem Montagmorgen Anfang Mai, da klingelte in Gheorghe Becius Büro das Telefon. So erinnert sich der Bürgermeister. Der heutige Sozialdemokrat ist seit Jahren im Dienst: Einst KP-Funktionär in der Landkreisverwaltung, wurde er durch die Wende zum Verwaltungsbeamten und ist seit 2000 Bürgermeister in seinem Heimatdorf. »Ich habe genug Erfahrungen in meiner Dienstkarriere, doch dieses Mal war ich sprachlos«, gesteht Beciu, »als ich den Hörer abnahm, grüßte mich Staatspräsident Traian Basescu. Er berichtete über die gemeinsame Entscheidung der rumänischen und amerikanischen Oberbefehlshaber und bat mich, den Bürgern die gute Nachricht mitzuteilen.«

Zuerst habe er jedoch allen erklären müssen, »dass ein Raketenabwehrsystem nichts Gefährliches ist«, fügt der Bürgermeister hinzu und blickt über seine Brille. Die Bürger von Deveselu überwanden ihre Angst offenbar schnell. Auf dem Dorffest herrscht eine hoffnungsfrohe Stimmung.

Die »Ehre des Dorfes« ist gerettet

»Schließlich haben wir hier eine lange militärische Tradition«, erzählt Octavian Marghescu, als eine Gruppe Volkstänzer hüpfenden Schrittes in Richtung Bühne vorbeizieht. Der 49-jährige Kommandeur a.D. war 1983 nach Deveselu gekommen, um Überschallflugzeuge zu steuern. »Nach dem Abschluss der Pilotenschule bin ich hier bei dem alten Stützpunkt gelandet. Wir waren damals die Avantgarde der rumänischen Luftwaffe, die einzigen Piloten hierzulande, die mit Überschallgeschwindigkeit flogen«, erinnert sich Marghescu. Volksmusik dröhnt aus den Lautsprechern, kleine Rauchsäulen steigen über der Grillecke auf.

Die Militärbasis, auf der die US-amerikanischen Raketen stationiert werden sollen, wurde in den 50er Jahren gebaut. Als Mitglied des Warschauer Vertrages lud Rumänien damals sowjetische Piloten nach Deveselu ein, um von deren Erfahrung zu profitieren. »Ziel der Ausbildung war, auf einen imperialistischen Angriff möglichst schnell mit unseren MiG-Flugzeugen reagieren zu können«, sagt Florin Nicola, einer der ältesten Militärs aus dem Dorf. Später ließ das Verteidigungsministerium Wohnblocks auf einem Maisfeld bauen, rund 100 Piloten und mehrere hundert Soldaten trainierten noch bis 1989 auf dem Stützpunkt.

Doch nach der Wende ging es mit Deveselu nur noch bergab. Angesichts leerer Staatskassen musste die Armee drastische Kürzungen hinnehmen, 2002 wurde die Militärbasis schließlich geschlossen.

Seitdem sind die Einnahmen des Gemeindehaushalts auf einen Bruchteil gesunken. Das 700 Hektar große, brachliegende Gelände jenseits der Bahngleise ist von einem kleinen weiß gestrichenen Betonzaun umschlossen. Zwei Soldaten und ein Hauptmann schützen den stillgelegten Stützpunkt vor den Blicken Unbefugter. Offizier Barbulescu von der Spionageabwehr schaut ab und an in seinem Auto vorbei.

Zurück auf dem Dorffest, schwärmt der frühere Kommandeur Nicola: »Heute aber erleben wir wieder die Freude, Rumänien vertreten zu dürfen. Endlich kommen die Amis, die Ehre des Dorfes ist gerettet.« Bürgermeister Beciu steigt wieder auf die Bühne, um eine Botschaft des Außenministeriums zu verlesen. Staatssekretär Bogdan Aurescu bittet per E-Mail um Entschuldigung: Auch er kann leider nicht anwesend sein, bedankt sich aber recht herzlich bei den Einwohnern und betont noch einmal, dass das Raketenabwehrsystem keine Gefahr für Mensch und Umwelt darstelle und rein defensiven Zwecken diene.

Russland: »Ein traianisches Pferd«

Die wiederholten Beteuerungen der rumänischen Politiker richten sich nicht nur an das Publikum auf dem Dorffest, sondern auch an ihre russischen Amtskollegen. Denn in Moskau wurden die USA und ihre neuen osteuropäischen Verbündeten für die »einseitige Entscheidung« scharf kritisiert. Der Plan sei ein »traianisches Pferd«, kommentierte ironisch Russlands NATO-Botschafter Dmitri Rogosin in Anspielung auf den Namen des rumänischen Staatschefs Traian Basescu, der oft durch unverblümt proamerikanische und russlandkritische Stellungnahmen auffällt.

Ende Mai drohte sogar Russlands Präsident Dmitri Medwedjew mit Konsequenzen. Die zweiseitigen Beziehungen haben ein neues Rekordtief erreicht, nachdem der rumänische Präsident die Beteiligung seines Landes an dem Nazi-Überfall auf die Sowjetunion vor 70 Jahren rechtfertigte. Er selbst hätte anstelle des faschistischen Diktators Ion Antonescu den gleichen Befehl erteilt, sagte Basescu in einem Fernsehinterview. Unter dem Vorwand der Rückeroberung alter rumänischer Gebiete hatte Marschall Antonescu im Juni 1941 an der Seite Hitlers die Sowjetunion überfallen – und in den neu erworbenen Territorien einen Holocaust in eigener Regie organisiert. »Damals hatten wir einen Verbündeten und ein verlorenes Gebiet, das wir zurückgewinnen mussten«, erklärte Basescu mit Bezug auf Nazi-Deutschland und die historischen Provinzen Bessarabien und Bukowina, die 1940 von Stalin der Sowjetunion angeschlossen worden waren.

Basescus Führungsstil polarisiert seit Jahren. »Mit seiner aggressiven und einseitigen Außenpolitik hat er das Land isoliert«, kommentiert der Politologe Daniel Barbu von der Bukarester Universität. Oppositionspolitiker und kritische Leitartikler unterstellten dem »Möchtegern-Diktator« einfach Wahlkalkül. Im Herbst 2012 wählen die Rumänen ein neues Parlament, und angesichts der beispiellosen Spar- und Kürzungsprogramme befindet sich die Mitte-Rechts-Regierungspartei PDL im Umfrage-Dauertief.

Doch in Deveselu machen sich die Bewohner wenig Gedanken um geostrategische und wahltaktische Feinheiten: »Politiker und Militärbündnisse kommen und gehen, wir aber bleiben hier in unserem Dorf«, betont Gheorghe Beciu, als er aus dem Fenster seines Büros schaut. An der Wand hinter ihm hängt eine rumänische Trikolore, draußen, vor dem Rathaus, flattern die Flaggen Rumäniens, der EU und der NATO um- und ineinander. Und der Bürgermeister fügt hinzu: »Hauptsache, bald ist wieder Geld für Investitionen da. Wir werden demnächst auch versuchen, Englischunterricht für alle im Dorf zu organisieren.«

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