Ein Zitat auf der Anklagebank

Verfahren wegen »Billigung einer Straftat« gegen Inge Viett geplatzt

  • Peter Kirschey
  • Lesedauer: 3 Min.
Ein Satz und jene, die ihn zum Besten gab, sollten gestern vor Gericht stehen. Eine Strafrichterin hätte darüber entscheiden müssen, ob die Billigung von Brandanschlägen auf Bundeswehrausrüstungen vom Grundrecht auf Meinungsfreiheit gedeckt oder als Aufruf zum gewaltsamen Sturz der Staatsordnung zu werten ist.

Das Blitzlichtgewitter der Fotografin traf die Richterin, die anwesenden 30 Journalisten gingen leer aus. Die Hauptakteurin des Verfahrens, die 67-jährige einstige RAF-Aktivistin Inge Viett, fehlte wegen Erkrankung. »Ohne Frau Viett können wir nicht verhandeln«, erklärte die Vorsitzende und setzte das Verfahren aus.

Anlass des vorerst geplatzten Gerichtsspektakels ist ein Zitat von Inge Viett, geäußert vor etwa 1200 Teilnehmern der Rosa-Luxemburg-Konferenz am 8. Januar in Berlin. Es lautet: »Wenn Deutschland Krieg führt und als Antikriegsaktion Bundeswehrausrüstung abgefackelt wird, dann ist das eine legitime Aktion wie auch Sabotage im Betrieb an Rüstungsgütern, illegale Streikaktionen, Betriebs- und Hausbesetzungen, militante antifaschistische Aktionen, Gegenwehr bei Polizeiattacken etc.«

Vermutlich würden sich weder ein Gericht noch die Öffentlichkeit für solch eine Formulierung interessieren – täglich werden tausendfach Dinge dahergesagt, die weitaus schwerwiegenderen Unfrieden im Lande stiften können. Doch es sind die Person und der Anlass, die den Fall zu einem Fall werden ließen. Auf der Veranstaltung im Januar sollte auch die Vorsitzende der LINKEN, Gesine Lötzsch, die es gewagt hatte, das Wort Kommunismus in den Mund zu nehmen, mit Viett auf dem Podium sitzen, Lötzsch verzichtete. Die versammelte Medienwelt lauerte auf das Wort des Tages. Und das lieferte dann Inge Viett. Obwohl Lötzsch und Viett nicht gemeinsam auf dem Podium saßen, wurden beide in einem Atemzug genannt. Dabei hatte Viett keine neuen Erkenntnisse zum Besten gegeben. Sie hatte auf der Konferenz ihren mehrfach geäußerten Standpunkt vertreten, dass bewaffneter Kampf gegen das kapitalistische System unter bestimmten Bedingungen durchaus legitim sei.

Wo Verfassungsrechtler sich uneinig sind, ob das Viett-Zitat Meinungsfreiheit oder Straftat ist, sollte nun nach Willen der Staatsanwaltschaft ein Amtsrichter ein Machtwort sprechen und Viett wegen »Billigung von Straftaten« verurteilen. Die Anklagebehörde geht davon aus, wie Staatsanwaltssprecher Martin Steltner der »Welt« gegenüber erklärte, dass diese Worte »die Bereitschaft von möglichen Gesinnungsfreunden geweckt haben, ähnliche Taten zu begehen und damit das friedliche Zusammenleben der Bevölkerung in der Bundesrepublik zu untergraben«.

Gemeint sind neun Brandanschläge auf Fahrzeuge der Bundeswehr und auf Anlagen von Rüstungsfirmen. Nun wird eine Aktion nicht antifaschistisch oder antikapitalistisch, indem man sie so nennt. Es muss schon die Frage erlaubt sein, wem das Zündeln an Kriegsmaterial dient. Krieg mit Brandstiftung zu begegnen, dürfte kaum der richtige Weg sein. So mag man den Worten Vietts zustimmen oder sie strikt ablehnen – eine »Billigung von Straftaten« ist nur schwerlich erkennbar. Zumal das Zitat mit den Worten beginnt: »Wenn Deutschland Krieg führt...« Eine Möglichkeit wird genannt und keine Behauptung aufgestellt.

Vietts Biografie ist von keinem Kriminalfilm zu überbieten: Teilnahme an der Entführung eines Berliner CDU-Politikers, Gefangenenbefreiung, Verhaftung und zweimalige Flucht aus dem Gefängnis, Untertauchen in der DDR mit Hilfe der Staatssicherheit. Dann das Jahr 1981. Da hatte sie in Paris einen Polizisten bei einer Verkehrskontrolle mit ihrer Pistole niedergestreckt. Der Mann hatte sich von dem Anschlag nie wieder erholen können und starb 2000 im Alter von 54 Jahren an den Spätfolgen der Attacke. Für diese Tat war sie, nachdem sie enttarnt worden war, vom Oberlandesgericht Koblenz 1992 zu 13 Jahren Haft verurteilt worden, kam aber nach der Hälfte der Strafe frei. Ehemalige Weggenossen warfen ihr vor, diese Freiheit damit erkauft zu haben, dass sie andere ans Messer lieferte.

Ihr Nichterscheinen vor Gericht wird das Verfahren nur aufschieben. Bei einer erneuten Abwesenheit hat die Richterin Zwangsmaßnahmen in Erwägung gezogen.

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