Brasilien wehrt sich im »Währungskrieg«

Importboom wegen Real-Aufwertung lässt Industrieproduktion sinken

  • Gerhard Dilger, Porto Alegre
  • Lesedauer: 3 Min.
Internationale Anleger schichten wegen der Unsicherheiten im Euroraum und in den USA seit längerem Gelder in die aufstrebenden Schwellenländer um. Das sorgt aber auch dort für Probleme – Beispiel Brasilien.

Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff hat mit demonstrativer Gelassenheit auf die jüngsten Börsenturbulenzen reagiert. »Brasilien ist heute stärker als 2008, als wir bereits in der Lage waren, der Krise zu widerstehen«, sagte Rousseff und verwies auf den Anstieg der Devisenreserven um 60 Prozent auf 348 Milliarden US-Dollar. Außerdem verfüge die Zentralbank mit umgerechnet 263 Milliarden Dollar über fast doppelt so hohe Zwangseinlagen der Banken wie 2008.

Sorgen bereitet der Präsidentin vor allem die Zunahme der Importe, die durch die massive Aufwertung des Real in den letzten Jahren begünstigt wurde: »Wir werden nicht zulassen, dass ausländische Firmen unsere Arbeitsplätze vernichten«, drohte Rousseff. Bis Ende Juli 2011 waren die Einfuhren um fast ein Drittel gegenüber dem Vorjahr gestiegen, während die Produktion der einheimischen Industrie zuletzt sogar leicht zurückging. Durch die Aufwertung wurden ausländische Produkte für Brasilianer erheblich günstiger, während die Exportprodukte im Ausland teurer und damit immer weniger wettbewerbsfähig wurden.

Ricardo Wirth, Direktor der gleichnamigen Schuhfirma im südbrasilianischen Dois Irmãos, erläutert, dass die Exportquote seines Unternehmens wegen des starken Real von 95 Prozent auf 60 Prozent gesunken sei. Große brasilianische Schuhfirmen hätten ganze Werke geschlossen oder die Produktion in Länder mit niedrigeren Löhnen verlagert, beispielsweise nach Nicaragua oder in die Dominikanische Republik, »eindeutig aus Währungsgründen«. Wirth kann sich indes halten, weil viele Schuhe, die er früher exportiert hätte, jetzt auf dem Binnenmarkt verkauft werden – in den letzten acht Jahren sind 40 Millionen Brasilianer in die Mittelschicht aufgestiegen.

Dem »Big-Mac-Index« des britischen Magazins »The Economist« zufolge, der die Kaufkraft diverser Währungen misst, ist der Real im Vergleich zum Dollar derzeit um 52 Prozent überbewertet. Ein Grund dafür ist die brasilianische Hochzinspolitik als Instrument zur Inflationsbekämpfung. Die hohen Zinsen locken spekulatives Kapital aus den Industrieländern an. Finanzminister Guido Mantega beklagt regelmäßig, die USA versuchten, ihre Wirtschaftskrise auch mit einem schwachen Dollar über den Export zu lösen. Brasília versucht seit einigen Wochen, in diesem »Währungskrieg« an verschiedenen Fronten gegenzusteuern: mit höheren Steuern auf Finanztransaktionen und größeren Kontrollen beim Derivatehandel, mit Vorzugsregelungen für einheimische Firmen bei öffentlichen Aufträgen, günstigen Krediten für Technologieunternehmen, Steuererleichterungen und Streichung von Sozialabgaben für arbeitsplatzintensive Firmen der Branchen Bekleidung, Möbel, Software und Schuhe.

Für die renommierte Ökonomin Maria da Conceição Tavares sind diese Maßnahmen aber nur ein Tropfen auf den heißen Stein: »Brasilien kann nicht verhindern, dass der Dollar im Weltfinanzsystem dahinschmilzt.« Währungspolitisch sei die Lage schwieriger als vor drei Jahren, analysiert sie: »Damals ist Kapital von Banken und Multis für die Rettung ihrer Mutterhäuser nach Europa und in die USA zurückgeflossen, und der Real wurde schwächer.«

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