Alarmzeichen aus Berlin

Gedanken zur Oppositionsrolle der PDS

  • Ellen Brombacher
  • Lesedauer: ca. 8.0 Min.
An jenem Tag, da die deutsche Mannschaft im Finale der Fußballweltmeisterschaft stand, vermeldeten die Medien: Kanzler Schröder - gerade in Japan - wolle die von Peter Hartz empfohlenen Maßnahmen zur Verringerung der Arbeitslosigkeit möglichst noch vor den Bundestagswahlen umsetzen. Auch Helmut Holter will »die Ideen der Hartz-Kommission nicht leichthin als Käse abtun« (ND vom 6. Juli). Nun hat die Kommission tatsächlich keinen Hartzer Käse produziert. Es stinkt vielmehr die den Vorschlägen innewohnende Asozialität; es stinkt die Suggestion, Massenarbeitslosigkeit sei wesentlich durch die Passivität der Arbeitssuchenden verursacht. Saturierte Typen, die alles haben und davon nie wieder etwas aufgeben wollen - sie wissen, was gut ist, damit Arbeitslose sich um einen Job bemühen? An jenem Tag, da Deutschland im Fußball unterlag, lautete eine weitere Meldung: »Noch nie musste die Bundeswehr so viele Auslandseinsätze bewältigen, wie gegenwärtig«. Es ist Krieg in der Welt, und Deutschland ist wieder dabei. Eine Selbstverständlichkeit für SPD, CDU/CSU, FDP und Grüne. In zehn Wochen sind Wahlen. Die erwähnten Parteien überschlagen sich, Bündnistreue zu signalisieren: Die Signale gehen an die USA sowie an große Unternehmen und Banken. 1990 sagte mir Heiner Müller bei einer Begegnung: »Es wird hier amerikanische Verhältnisse geben.«. Harald Kretzschmar: Brücken schlagen - ins NeulandSozialabbau, Krieg und wachsende Brutalisierung der Gesellschaft erzeugen Ängste. Rechtspopulisten in verschiedenen europäischen Ländern nutzen das aus. Hajo Funke schreibt: » ... es ist nicht nur das entfremdete politische Klima, das den Griff zum Rechtspopulismus attraktiv macht ... Die rechtspopulistischen Parteien sind gefährlich attraktiv geworden, weil sie sich als Vertreter der wahren Interessen des Volkes aufspielen. Sie warnen vor den sozialen Folgen der Globalisierung und sprechen die Ängste und die Bedrohungsgefühle aus, die viele empfinden. Sie durchbrechen das Schweigen der Konsensdemokratien ...« Die gefährliche Attraktivität, von der die Rede ist, wird auf Dauer nicht durch jene eingedämmt werden, welche die Bedingungen für diese Anziehungskraft erzeugen. Je brutaler die kapitalistische Globalisierung vonstatten geht, umso mehr bedarf es des Zusammenwirkens von sozialen, antifaschistischen und antirassistischen Bewegungen, umso mehr bedarf es auch einer europäischen Linken mit eigenständigem sozialistischem Profil. Gerade dieses Profil unterliegt in Regierungskoalitionen in der Regel großem Verschleiß. Ende Mai fand in Halle die Bundeswahlkonferenz der PDS statt. Nicht erst dort wurde deutlich, dass es zur Wahlstrategie keine einheitliche Auffassung gibt. Helmut Holter hatte bereits einen Tag nach dem Rostocker Wahlparteitag Kritik daran geübt, dass die PDS als Leitfaden für den Bundestagswahlkampf Opposition beschloss. Er blieb nicht der einzige Kritiker. Auch Gregor Gysi verzichtete in Halle auf ein deutliches Bekenntnis zur Oppositionsrolle der PDS nach dem September 2002. Er äußerte sich eher ambivalent: »Es gibt natürlich viele Unterschiede zwischen Parlamentsopposition und Regierungspartei. Ich bin jahrelang immer in der Opposition aufgetreten. Da habe ich immer gesagt, wir müssen Druck von links auf die SPD ausüben. Das kann ich im Augenblick gar nicht, weil: Dann schiebe ich sie immer weiter nach rechts. Ich muss sie jetzt nach links ziehen. Das ist ein sehr viel komplizierterer Vorgang und erfordert auch eine andere Herangehensweise.« Die Aussage enthält eine prinzipielle Wertung - die Abwertung von Opposition eingeschlossen. Offensichtlich gibt es allerdings in dieser Hinsicht weder einhellige Auffassungen im PDS-Bundesvorstand noch in der Bundestagsfraktion. So zog sich wie ein roter Faden durch Gabi Zimmers Referat in Halle, dass wir »in unserem Wahlkampf unser Profil als sozialistische Partei weiter schärfen« müssen. »Die versprochene Zeitenwende hin zu mehr Gerechtigkeit«, formulierte sie, »ist ausgeblieben (...) Wenn es also darum geht, die allseits beliebte Frage zu beantworten, was wir als PDS denn tun werden, um Rot-Grün die Mehrheit zum Weiterregieren zu sichern, dann kann ich nur sagen: Tut mir leid, jede auch nur punktuelle Unterstützung durch die PDS hat ihren Preis: den Preis eines wirklichen Umsteuerns in Richtung soziale Gerechtigkeit (...) Unser Wahlkampf wird kompliziert, denn auf Schritt und Tritt werden uns zwei Argumente begegnen. Erstens: Lieber Schröder und diese SPD als Stoiber und diese CDU/CSU, lieber das kleinere Übel als das größere (...) Das zweite Argument gegen die Wahl der PDS geht mir mehr unter die Haut: Berlin zeigt doch, dass ihr umfallt wie die Grünen! Da hilft nur zweierlei: Wir müssen als PDS überall, auch in Berlin oder Mecklenburg-Vorpommern - aber ich sage bewusst: überall - einen neuen Politikstil praktizieren, der deutlich macht, dass wir eben nicht die Grünen sind. Zum zweiten müssen wir auch in allen Kommunen und Ländern, in denen wir in direkte Verwaltungsarbeit eingebunden sind, deutlich machen, dass wir gerne Opposition im Bundestag sind - und dass Opposition Verantwortung ist.« Die Berliner Situation ist schon alarmierend. Auf der Berliner PDS-Landeskonferenz am 29. Juni 2002 waren die Sorgen der Basis unüberhörbar. Der Einzug der PDS in den Bundestag sei gefährdet. Ein Misserfolg würde auch bedeuten, dass die nächste Kriegsbeteiligung im Bundestag keine Gegenstimmen mehr hätte. »Leute, die vom Licht am anderen Ende des Tunnels reden, sehen offensichtlich nicht den auf sie zu fahrenden Zug«, so Gert Julius aus dem Bezirksverband Tempelhof/ Schöneberg. »Der Umgang mit den Gewerkschaften ist hanebüchen geworden«, erregte sich eine Genossin. Erwähnung fand ein Gespräch mit einer Kollegin aus dem öffentlichen Dienst: Der Frust unter den Kollegen sei außerordentlich. Es wäre nicht zu begreifen, warum denen unten immer mehr weggenommen würde und das offensichtlich zu Gunsten derer, die mit Immobilien spekuliert hätten. Das hätte unter den Kollegen niemand von sozialistischen Parteien erwartet. Das Schlimmste sei, dass Kindern und Jugendlichen die Zukunft verbaut würde, indem die Bildung beschnitten wird. Wen solle man eigentlich noch wählen? Es ist folgerichtig, dass die Besorgnisse unter vielen Mitgliedern und Wählern der PDS in der Partei debattiert wird. Die Schlussfolgerungen gehen auseinander. Der »Spiegel« hat unlängst vorhandene Differenzen analysiert. »Alles dreht sich um die entscheidende Frage: Soll sich die PDS im Lagerwahlkampf auf die Seite von Rot-Grün schlagen oder den Kanzler und dessen Regierung genauso attackieren wie Unionskanzlerkandidat Edmund Stoiber und die FDP-Truppen um den Hilfs-Haider Jürgen W. Möllemann? Zimmer ... schwört ihre Partei auf Protest und Opposition ein. "Hören wir auf, darüber zu schwadronieren", forderte sie in Halle, "was wir mit unserem Erfolg alles so anfangen können." Das aber wollen sich weder Bartsch noch der Chef der Bundestagsfraktion, Roland Claus, noch die meisten PDS-Landeschefs verbieten lassen, schon gar nicht bei einer Pattsituation zwischen Rot-Grün und Schwarz-Gelb nach der Wahl (...) In seltenem Einklang wollen die regierungswilligen Pragmatiker nun retten, was zu retten ist. Mal wird der Opposition-pur-Kurs der Vorsitzenden subversiv in der Parteizentrale bekämpft (...) Mal wird offen Widerstand geleistet, wie vom Berliner Landeschef Stefan Liebich: "Rot-Rot ist eine Chance und nicht der Klotz am Bein der PDS"«. Einigen mag es unwesentlich vorkommen, dass hier Differenzen sichtbar werden. Alles nur Taktik, meinen sie. Verifizierbar ist: Es wird grundlegend Unterschiedliches gesagt. Es würde von den einen lediglich links geblinkt, während andere die PDS für Koalitionsgespräche offen hielten? Wesentlich sei allein, was nach dem 22. September 2002 geschehen wird? Wahrscheinlich ist es so einfach nicht. Die Lage der PDS ist viel zu problematisch, als dass es nicht auch zwischen führenden Leuten zu sehr realen Meinungsverschiedenheiten über das künftige Profil der Partei kommen könnte: Da sind zum Beispiel die für die PDS alles andere als günstigen Wahlergebnisse in Sachsen-Anhalt. Da sind die Desillusionierungen hinsichtlich der PDS-Regierungsbeteiligungen in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin. Da sind die sich anbahnenden Konflikte um die geltende Beschlusslage von Münster. Da ist der tiefe Unmut breitester Teile der PDS-Basis über den Umgang führender PDS-Politikerinnen und Politiker mit der Geschichte des Sozialismus des vergangenen Jahrhunderts. Angesichts dieser Konfliktlage ist Nachdenklichkeit über den zukünftigen Kurs auch bei so manchem vorstellbar, der ansonsten Positionen, wie sie z.B. in der Kommunistischen Plattform der PDS oder im Marxistischen Forum mehrheitlich vertreten werden, zumindest skeptisch gegenübersteht. Welche Chancen und Gefahren ergeben sich aus den zu Tage tretenden Widersprüchen? Erstens: Jene verbreiteten Stimmungen unter Mitgliedern und Sympathisantinnen und Sympathisanten der Partei, also unter unseren Wählern, die dazu führten, dem in Halle Rechnung zu tragen, entsprechen den Kernaussagen der geltenden PDS-Programmatik. Wenn der Wahlkampf programmnäher geführt wird, als die Alltagspolitik der PDS vielerorts vonstatten geht, dann erschwert dies das Deckeln von Problemen auch über den Wahltag hinaus. Wo Widersprüche offen zu Tage treten, da erfolgt auch die politische Auseinandersetzung. Meinungsverschiedenheiten werden öffentlicher ausgetragen. Das kann für die Weiterführung der Programmdebatte und im Alltag der PDS günstige Wirkungen haben. Zweitens: Diese produktive Auseinandersetzung wird von jenen gefürchtet, die auf Anpassung setzen und zugleich möchten, dass die Mitgliedschaft diese Anpassung nicht wahrnimmt. Es gibt mittlerweile in der PDS eine Erfahrung: Vor den Wahlen werden Angriffe auf all jene in der Partei, die es für besonders verantwortungsvoll halten, Opposition zu sein, beinahe eingestellt. Haben die Wahlen dann stattgefunden, wird dies »korrigiert«. Je weiter links der Wahlkampf geführt wird, desto eher wächst vermutlich die Gefahr, dass Wahlkampftöne nach dem 22. September so schnell wie möglich vergessen gemacht werden sollen. Dafür gibt es eine »bewährte« Methode: linke Positionen und deren Protagonisten zu diskreditieren. Der Parteitag in Gera muss aber keinesfalls in der Art verlaufen wie etwa die verhängnisvolle 1. Tagung des 4. Parteitages im Januar 1995. Die Kernfrage auf jenem Parteitag war die Entscheidung über ein die PDS in reformistische Richtung drückendes Papier. Die damit verbundene, abstoßend denunzierende »Debatte« um die Vorstandskandidatur Sahra Wagenknechts erzeugte die für diese Richtungsänderung erforderliche giftige Atmosphäre. Die Verfechter geltender programmatischer PDS-Grundsätze sind klug beraten, wenn sie die auch im Bundesvorstand beschlossene Wahlkampflinie von Gabi Zimmer voll unterstützen; sie wird ab 23. September verteidigt werde...

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