Für alle und barrierefrei

IG Metall fordert bei Krankenversicherung sozialstaatliche Verantwortung

  • Elfi Schramm
  • Lesedauer: 3 Min.
Das Gesundheitssystem ist seit Jahren Gegenstand vieler Debatten. Im Wahlkampf spitzen sich die politischen Auseinandersetzungen zu. Da stellt sich wirklich die Frage, ob es um die Patienten oder nur um die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) als Wirtschaftsfaktor geht. Aus diesem Grund hat die IG Metall zusammen mit Regierungsparteien und Wissenschaftlern ein Memorandum zur Gesundheitsreform erarbeitet.
Bei der Vorlage des Memorandums in dieser Woche erinnerte sich Klaus Kirschner, Bundestagsabgeordneter für die SPD, daran, dass die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) die tragende Säule unseres Gesundheitssystems ist. Sie baut auf dem Solidarprinzip auf: Gesunde zahlen für Kranke, Gut- für Wenigverdienende, Junge für Alte, allein Stehende für Familien. Grundsätzlich sollten die Patienten mit ihren gesundheitlichen Bedürfnissen im Mittelpunkt stehen. Er verwies darauf, dass der Politik die zentrale Aufgabe zukomme, die gesetzlichen Rahmenbedingungen so festzulegen, dass den Versicherten ein barrierefreier Zugang zu einer ausreichenden, qualitätsgesicherten medizinischen Behandlung als Vollversorgung gewährleistet werden kann. Deshalb wird im Memorandum festgehalten, dass der Wert einer »guten« Gesundheitspolitik für die Lebensqualität des Einzelnen wie für den Solidarcharakter der Gesellschaft kaum überschätzt werden kann. Die öffentliche Bereitstellung eines leistungsfähigen und solidarischen Systems der Krankheitsbehandlung und Gesundheitsvorsorge sei ein unverzichtbarer Teil eines solidarischen Gesellschaftsmodells. »Gute Gesundheitspolitik« wird als eine Versorgung verstanden, die in allen Feldern (Prävention/Gesundheitsförderung, Diagnostik, Therapie, Nachsorge) maximale Qualität gewährt und die diese Qualität allen Mitgliedern der Gesellschaft ohne Zugangsschranken zur Verfügung stellt. An deren Finanzierung sollen sich alle Gruppen entsprechend ihrer ökonomischen Leistungsfähigkeit beteiligen. Die eingesetzten Ressourcen sollten wirtschaftlich, also mit Blick auf Zielrichtung und Mittelverwendung, eingesetzt werden. Das Memorandum verschweigt nicht mangelnde Effizienz und Verschwendung (zum Beispiel bei der Arzneimittelversorgung) im deutschen Gesundheitswesen. Und es kritisiert die gängigen Metaphern von der »unkontrollierten Kostenexplosion«, vom »Fass ohne Boden«, die eher einen realistischen Gesamtblick auf Stärken und Defizite des Gesundheitssystems vernebeln, als dass sie sachgerecht zur Reform des Gesundheitswesens beitragen würden. Das Memorandum belegt die ungerechtfertigte Behauptung von der »unkontrollierten Kostenexplosion« mit konkreten Zahlen: Der Anstieg der Gesundheitsausgaben verlief in den letzten zwei Jahrzehnten im Gleichschritt mit dem Wirtschaftswachstum, so dass der relative Anteil der Ausgaben der GKV an der volkswirtschaftlichen Wertschöpfung heute (2001: 6,2 Prozent) nicht höher als zu Beginn der 80er Jahre (1980: 6,1 Prozent) ist. Außerdem bemängelt es, dass der Blick auf die Einnahmenseite vernachlässigt wurde. Grund für die zurückgehenden Einnahmen sei vor allem die seit Beginn der achtziger Jahre rückläufige Lohnquote. Lag diese 1980 noch bei 74,5 Prozent, so ist sie bis zum Jahre 2001 auf 65,2 Prozent gesunken. Von 1980 bis 2000 stieg das Bruttoinlandsprodukt pro Erwerbstätigen um 115,2 Prozent, die Bruttoeinkommen aus unselbstständiger Arbeit jedoch nur um 90,7 Prozent und die beitragspflichtigen Einnahmen je GKV-Mitglied lediglich um 84,3 Prozent. In dieser Entwicklung spiegeln sich vor allem die Folgen der strukturellen Massenarbeitslosigkeit, der Ausdehnung von Beschäftigungsverhältnissen jenseits des »Normalarbeitsverhältnisses« sowie die verteilungspolitische Defensive der Gewerkschaften infolge dieser Verwerfungen auf den Arbeitsmärkten wider. Hinzu kommt das Problem, dass die Definition der Solidargemeinschaft, die in der GKV verankert ist, nicht mehr zeitgemäß ist. Heute sind lediglich etwa 88 Prozent der Bevölkerung in der GKV versichert. Bezieher von Einkommen oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze können aus der Solidargemeinschaft aussteigen und sich privat krankenversichern. Zum Erhalt der solidarischen Krankenversicherung empfiehlt das Memorandum folgende Reformmaßnahmen: Beendigung der Politik der »Verschiebebahnhöfe« durch systemkonforme Risikozuteilung; Entwicklung der GKV zu einer »Erwerbstätigenversicherung« mit Einbeziehung von Werk- und Dienstverträgen in die Versicherungspflicht sowie Integration von Selbstständigen, Freiberuflern und Beamten; Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze und Gewinnen neuer Finanzquellen. Das Memorandum ist ein Versuch, so die Verfasser, der »Großen Koalition von Wettbewerbs- und Privatisierungsoptimisten« Alternativen entgegenzusetzen.
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