Rakete gegen »Ratten« gefeuert

Libyen: Seit fünf Monaten versucht der Westen, Gaddafi wegzubomben

  • René Heilig
  • Lesedauer: 3 Min.
Das ist ein – mit Verlaub – komischer Krieg, den die NATO da gegen das Libyen des Despoten Gaddafi führt. In Washington, Paris, London und im Hauptquartier der Allianz in Brüssel hofft man, dass die Rebellen die Sache jenseits des Mittelmeeres doch bald zu einem »guten« Ende bringen. Entsprechend unterstützt man die Gaddafi-Feinde.

Vor einem halben Jahr etablierte sich – nachdem der sogenannte Volksaufstand gegen Gaddafi sich ausgebreitet hatte – in Bengasi ein Zentrum des Widerstandes gegen den selbstherrlichen Machthaber in Tripolis. Am 17. März verabschiedete der UN-Sicherheitsrat die Resolution 1973, nach der »alle notwendigen Maßnahmen« zu unternehmen sind, um Zivilisten in Libyen zu schützen. Seither wird der Tod Tausender systematisch betrieben. Mit Flugzeugen, Drohnen, Schiffen und Spezialeinheiten.

Zunächst wurde die Operation vom US-Afrika-Kommando mit Sitz in Stuttgart betrieben. Ende März übernahm die NATO den Befehl über die »Operation Unified-Protector«, die – so versprach man anfangs – rasch zu einem siegreichen Ende führen werde.

Doch auch nach 19 011 Flügen – 7223 davon waren nach NATO-Angaben (stand 16. August) Kampfeinsätze – können die Militärs beider Seiten keine nachhaltigen Erfolge vermelden. Gerade weil das Thema Libyen in Washington, London und Paris von anderen Problemen überlagert wurde, wollen die NATO-Verantwortlichen kein Wort zu viel über »ihren« Krieg verlieren.

Das deutet Noch-Machthaber Gaddafi offenbar falsch. Nach dem Scheitern ihres Kampfes mit Waffen sei die westliche Koalition nur noch zu »Lügengeschichten« und »psychologischer Kriegsführung« in der Lage, schwafelte er in einer TV-Ansprache und versprach: Das Ende der »Ratten« – womit er die Rebellen meint – und das der »Kolonisatoren« sei nah. Nun gelte es, die verlorenen Städte zurückzuerobern. Wie soll das geschehen? Sicher nicht per Scud-Raketen. Eine solche sollen jetzt Regierungstreue aus Gaddafis Heimatstadt Sirte abgefeuert haben. Es ist unklar, welches Ziel sie anvisierten, das Uralt-Geschoss schlug laut US-Marine 80 Kilometer von der strategisch wichtigen Stadt Marsa el Brega entfernt in die Wüste ein.

Dennoch war der Raketenschuss eine Art Demütigung für die USA und die NATO. Trotz totaler Überlegenheit konnten deren Militärs Gaddafis schwere Waffensysteme offenbar nicht ausschalten. Dass es überhaupt noch Scud-Raketen in Libyen gibt, ist der arroganten Verhandlungsführung der USA geschuldet. Vor zehn Jahren war mit Tripolis über eine Vernichtung der Raketen im Austausch gegen die Aufhebung westlicher Sanktionen verhandelt worden. Ergebnislos. Und so vermuten Geheimdienstler jetzt, dass Gaddafi noch über 100 solcher Raketen verfügt.

So, wie die NATO den Krieg führt, scheint eine schnelle, gewaltsame Lösung eher unwahrscheinlich. Auch angesichts wachsender Opfer- und Flüchtlingszahlen – zwischen Januar und Juli erreichten allein aus Libyen kommend 23 267 Flüchtlinge italienisches Territorium – sind politische Lösungen dringend. Alle Gerüchte über einen Gaddafi-Alterssitz im Ausland haben sich bislang nicht bestätigt. Und auch die Rebellen treten Meldungen entgegen, wonach sich auf der tunesischen Urlaubsinsel Djerba Abgesandte beider Seiten getroffen haben sollen.

»Es gibt keine Verhandlungen oder Gespräche zwischen dem Regime und dem Übergangsrat, weder in Tunesien noch anderswo«, sagte der Vizepräsident des Übergangsrates, Abdel Hafis Ghoga, in der Rebellen-Hochburg Bengasi.

NATO-Mitglied Deutschland hält sich beim Thema Libyen öffentlich zurück. Die letzte Äußerung des Außenamtes stammt vom 24. Juli. Da hatte man gerade dem libyschen Nationalen Übergangsrat bis zu 100 Millionen Euro als »Darlehen für zivile und humanitäre Zwecke« zur Verfügung gestellt.

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