Faszination Feuer und Fleisch

Grillen ist vor allem eine männliche Leidenschaft – »Man fühlt sich an das Jägerdasein zurückerinnert«

  • Angela Stoll
  • Lesedauer: 3 Min.

Ob bei Polizei, Militär oder Feuerwehr: In alle möglichen Bereichen, die einst Männern vorbehalten waren, sind Frauen vorgedrungen. Sogar immer mehr Kfz-Mechanikerinnen gibt es. Ist heute auf nichts mehr Verlass? Doch es gibt ein Gebiet, in dem sich Männer meist ohne weibliche Konkurrenz bewähren und behaupten können: am Grill. Mögen sich auch irgendwo in der Welt da draußen Tagesväter mit sabbernden Kleinkindern herumärgern oder Putzmänner Fliesenböden schrubben, hier fühlen sich Männer noch wie vor Tausenden von Jahren: Sie hantieren mit eisernen Zangen, blutigen Fleischlappen und glühender Kohle.

»Grillen über dem offenen Feuer gilt als typisch männliche Tätigkeit«, sagt die Sozialwissenschaftlerin Jana Rückert-John vom Zentrum Technik und Gesellschaft der TU Berlin. »Frauen sind dagegen eher für die Alltagsküche am heimischen Herd zuständig.« Denn der Familienhaushalt sei immer noch eine vorwiegend weibliche Domäne. In außeralltäglichen Situationen jedoch übernimmt der Mann das Kochen gerne: »Da geht es auch um Anerkennung«, erklärt Rückert-John.

Bei einer Umfrage des österreichischen Instituts »Spectra« gaben 54 Prozent der Männer an, selbst zu grillen. Bei den Frauen waren es 19 Prozent. 24 Prozent teilen sich die Aufgaben. Beilagen wie Salat, Kartoffeln und Gemüse werden vor allem von Frauen zubereitet: 62 Prozent der weiblichen Befragten erklärten, dafür allein zuständig zu sein. Bei den Männern waren es dagegen nur 13 Prozent.

»Beim Grillen gibt es eine klare Rollenverteilung«, sagt Elmar Hör, Gründer des »Grillsportvereins Suarius« in Altusried, einem Zusammenschluss grillbegeisterter Scherzbolde (www.grillsportverein.de). »Wer das Feuer anzündet, steht in der Hierarchie ganz oben. Er ist das Alphatier, das die Familie mit Fleisch versorgt und sich selbst die besten Stücke sichern kann.« Die Leidenschaft fürs Grillen stecke tief im Manne: »Wenn man mit rohem Fleisch hantiert, fühlt man sich an das Jägerdasein zurückerinnert.« Auch in der Faszination Feuer stecke etwas Archaisches: »Meine Tochter schaut sich kurz das Feuer an und geht dann wieder. Mein Sohn bleibt stehen und starrt in die Flammen. Feuer fasziniert Männer seit eh und je«, meint Hör. Hinzu kommt die Begeisterung für Technik – vor allem dann, wenn die Geräte modern und besser ausgestattet sind.

Viele Männer legen darauf Wert, dass vor allem Fleisch auf dem Grill landet, nicht Gemüse. Außerdem bevorzugen männliche Grillfans gern rotes Fleisch wie Rind und Schwein; Geflügel wird in solchen Kreisen mitunter abfällig als »Frauenfleisch« bezeichnet.

»Fleisch ist eines der Nahrungsmittel, wo es sehr starke geschlechtliche Unterschiede gibt«, sagt Rückert-John. Männer essen im Schnitt doppelt so viel Fleisch wie Frauen: Laut Nationaler Verzehrstudie II sind es bei Frauen 53, bei Männern 103 Gramm pro Tag. Außerdem ist der Vegetarieranteil bei Frauen mit 3,4 Prozent deutlich höher als bei Männern: Nur 1,5 Prozent der Männer sind der Studie zufolge Vegetarier. Traditionell wird der hohe Fleischverzehr von Männern auch mit ihrem größeren physiologischen Bedarf erklärt. »So kann man heute aber nicht mehr argumentieren«, betont die Sozialwissenschaftlerin Rückert-John. »Viele Männer sitzen heute am Schreibtisch. Harte körperliche Arbeit ist eher selten.«

So bleiben bestimmte Rollenklischees, die sich auch bei der Wahl der Speisen niederschlagen: »Unser Gegenwartsverständnis von Fleisch wurde stark von der Geschichte geprägt«, sagt Rückert-John. »Fleisch war einst ein knappes Nahrungsmittel, das den Jägern vorbehalten war. Es galt als Kraft spendend und sogar potenzsteigernd.« Daher werde Fleisch auch heute noch mit »richtiger Männernahrung« assoziiert, Obst und Gemüse werden dagegen der vermeintlich schwachen und daher weiblichen Nahrung zugeordnet.

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