Von wegen Hausfrau

Die unermüdliche Jazz-Sängerin Ruth Hohmann wird 80

  • Martin Hatzius
  • Lesedauer: 4 Min.
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Da schlurft eine biedere Alte durchs Publikum, rüstig immerhin, und wer es nicht besser weiß, wundert sich: Was hat die denn auf einem Jazzkonzert verloren? Aber dann geht diese unscheinbare Frau – was ist denn hier los? – mit ihrem Handtäschchen auf die Bühne los und – schwupps ist sie oben – schnappt sich das Mikrophon. Die vermeintlich Verirrte ist: der Star.

Wenn Ruth Hohmann zu singen anhebt, zersetzen sich alle Zweifel in begeistertes Staunen: So wie diese Grande Dame des ostdeutschen Jazz bis heute den Scat-Gesang beherrscht – das lautmalerische Aneinanderreihen scheinbar bedeutungsloser Silben, die sich in ihrer Improvisation aber zu ausdrucksvollen, universal verständlichen Lebenslusterklärungen verbinden –, macht ihr das keine nach. Ruth Hohmann, die allürenfreie Seniorin mit den überragenden Sangesfertigkeiten, seit Jahrzehnten geliebt von Fans und Kollegen, wird heute – Tusch! – 80 Jahre alt.

Gefeiert wird – auf der Bühne. Wo sonst? Statt Gratulanten auf dem heimischen Sofa zu empfangen, wie es in ihrem Alter keine Schande wäre, gibt die Hohmann an ihrem Ehrentag ein Konzert beim »Jazz in Town«-Festival in Berlin-Köpenick: »Ruth 8null – Birthday in Concert«. Namhafte Weggefährten, Freunde und einstige Schüler warten dazu mit einem Überraschungsprogramm auf. Längst ist die Feier ausverkauft. Auch für das Konzert am Folgetag an selber Stelle – »Jazz Ladies: Ruth Hohmann, Uschi Brüning & Jacqueline Boulanger« – werden die Karten knapp. Das große Interesse an ihrer Kunst und ihrer Person mag Ruth Hohmann als das empfinden, was es ist: Würdigung eines Lebens im Zeichen des Jazz – mit einem halben Jahrhundert Bühnenerfahrung dürfte sie weltweit eine der Dienstältesten ihrer Zunft sein.

Geboren in Eisenach, Schauspielausbildung in Erfurt, Umzug nach Berlin mit Anfang 20, schlug sie bald die Laufbahn als Sängerin ein. Von Walter Kubiczek, Komponist und Rundfunkmann, bei dem sie den Titel »The Man I Love« vorsang, ist der schöne Satz überliefert: »Sie sind wohl wahnsinnig, hier auf Hausfrau zu machen! So was wie Sie läuft nur alle paar Jahrzehnte in Deutschland rum« (nach Stefan Lasch: Jazz Collegium Berlin & Ruth Hohmann. In: Freie Töne. Die Jazzszene in der DDR. Hg. v. Rainer Bratfisch, C.H. Links Verlag, 2005). Die Hohmann, in der man bald eine »Ella Fitzgerald des Ostens« erkannte, wurde zur ersten Jazzsängerin der DDR mit »Pappe«, also Berufsausweis. Ihrem Bühnendebüt mit den Jazz Optimisten im November 1961 folgten gemeinsame Arbeiten mit allen Größen des DDR-Jazz und Tourneen durchs In- und Ausland.

Zäsur nach fünf prallen Jahren: Zwischen 1966 und 1972 war von der jungen, begeisternden Sängerin nichts mehr zu hören. Dass Hohmann »in der Sprache McCarhtys« sang, wurde in den oberen Etagen des Ulbricht-Staates nicht gerne gehört – überdies hatte sie es versäumt, ihre »Pappe« verlängern zu lassen. Der Neuanfang in den frühen Siebzigern – wieder mit Berufsausweis, diesmal gar einem der höchsten Klasse – brachte Hohmann mit dem frisch gegründeten Berliner Jazz Collegium zusammen, bis heute – auch beim Jubliäums-Konzert in Köpenick – »ihre« Band. Von Alfons Wonneberg an die Hanns-Eisler-Musikhochschule geholt, ergänzte die Sängerin von 1976 an für zwanzig Jahre ihren Künstler- um den Lehrberuf. Als Dozentin und Bereichsleiterin für Jazz und Chanson prägte sie Künstler wie André Herzberg, Inka Bause, Hendrik Bruch und viele weitere mit. Überdies trat sie gelegentlich als Schauspielerin in Erscheinung, zuletzt in Leander Haußmanns Film »NVA« von 2005.

Ironie der Geschichte: Ausgerechnet die Interpretin, der einst das Singen englischer Texte zum Verhängnis wurde, hat großen Spaß am eigensinnigen Umdichten der Texte von Jazz-Standards ins Deutsche, gern im Dialekt. Zuletzt beglückte sie im Mai 2011 das Publikum des 41. Dresdner Dixieland Festivals – seit den Siebzigern sind Hohmann und das Jazz Collegium dort gern gesehene Gäste – mit ihrer Version des »Chattanooga Choo Choo«. Zur durch Glenn Miller weltberühmt gewordenen Melodie, zu der Udo Lindenberg sein »Sonderzug nach Pankow« eingefallen war, dichtete die Hohmann den »Dixiezug nach Dresden«, eine Hommage an ihre treuen sächsischen Fans in deren berüchtigt breitem Idiom: »Saachen Se mal / sind mir uns nich schon mal begeechnet? – Ja, Sie! – / Lang, lang ist's her,/ so fuffzich Jahr' ungefähr. / Da waren mr frisch / und mit viel Scheenheit noch geseechnet / und mir ham ohne Reschbekt / geechen den Stachel gelöckt ...«

Alles andere als ein bröckelndes Denkmal, verkörpert die quicklebendige Ruth Hohmann eine Entwicklung der Jazz-Musik, die sich so (mit einigen Hürden) nur in der DDR zugetragen hat. Wie und ob diese Tradition sich fortschreibt, wenn Hohmann und die anderen unermüdlichen Protagonisten dieser Szene einmal von der Bühne getreten sein werden, steht in den Sternen. Noch – welch ein Glück – sind sie dort zu erleben.

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