»Grob ungehörige Handlung«

Bußgeldbescheid für Aktionskünstler wegen Ausstellung mit Kriegsbildern in Bayern

  • Rudolf Stumberger, München
  • Lesedauer: 4 Min.
Personenkontrolle der Polizei 2009 beim politischen Spaziergang von Kastner (li.) zur Staatskanzlei
Personenkontrolle der Polizei 2009 beim politischen Spaziergang von Kastner (li.) zur Staatskanzlei

Der Münchner Aktionskünstler Wolfram P. Kastner hat wegen einer Antikriegsaktion einen Bußgeldbescheid bekommen. So einfach hinnehmen wird er diesen freilich nicht.

Tatzeit: 17. April 2011. Tatort: die Ausstellungsräume des Vereins »Kulturteam Ackermannbogen e.V.« in München. Täter: Wolfram P. Kastner, Künstler, 1947 geboren in München. Die Tat: der Bevölkerung die Grausamkeiten des Krieges vorzuführen. Die Geldbuße: 250 Euro plus 20 Euro Gebühr plus 3,50 Euro Auslagen. Meint das Kreisverwaltungsreferat München in einer Zustellungsurkunde. Und all dies ist keine Satire.

Fotografien von verstümmelten Soldaten

Was war geschehen? Im April organisierte der Münchner Aktionskünstler Wolfram P. Kastner in besagten Räumlichkeiten eine Ausstellung mit dem Titel: »teilen statt kriegen«. Der Künstler »bezieht in seinen Bildern und Aktionen Position, offen und listig und engagiert. Er untersucht und konterkariert Sehgewohnheiten und die schleichende Gewöhnung an Militär und Waffengewalt. In dieser Ausstellung werden Arbeiten gezeigt, die großenteils in den letzten Jahren entstanden, seit deutsche Soldaten wieder an Kriegen teilnehmen«, so der Text zur Ausstellung. Dort werden auch Fotos von verstümmelten Soldaten gezeigt. »Krieg ist kein Sofakissen«, sagt Kastner und: »Man muss zeigen, was Krieg bedeutet.«

Der Ackermannbogen ist eine Neubausiedlung, wo mit kleinen Vorgärten gerne das junge Mittelstandsglück wohnt. Die Kinder sollen behütet aufwachsen und Kriegsbilder gehören nicht dazu. »Nachdem die aufgebrachten Anwohner die Polizei verständigt hatten, wurde durch die vor Ort tätigen Polizeibeamten der Polizeiinspektion 43 die Abdeckung des Schaufensters mit einer Decke bis zu einer Höhe von ca. 120 cm angeordnet«, heißt es im Bußgeldbescheid. Denn die ausgestellten Fotos hätten Passanten, darunter auch Kinder, verstört und belästigt, sie litten jetzt unter Angst und Schlafstörungen.

Das Kreisverwaltungsreferat sieht darin deshalb auch keine Kunst, sondern eine zu bestrafende Ordnungswidrigkeit: »Sie haben eine Kundgebungsform gewählt, die sich bewusst nicht in die für das gedeihliche Zusammenleben unserer Rechtsgemeinschaft erforderliche Ordnung einfügt, und sind somit in einen groben Widerspruch zur Gemeinschaftsordnung getreten, was eine grob ungehörige Handlung darstellt.«

Das sei völlig absurd, meint Aktionskünstler Kastner, die Fotos seien von außen kaum zu sehen gewesen, der Abstand zur Schaufensterscheibe habe mehr als vier Meter betragen. Nicht die Kinder, sondern die Erwachsenen hätten sich daran gestört, die »aufgeregten Blockwartsfrauen«, wie Kastner sie nennt. München sei eine Metropole der deutschen Rüstungsindustrie, hier dürfe das Gesicht des Krieges offenbar nicht gezeigt werden. »Ich habe die Ausstellung nach drei Tagen wieder abgehängt«, sagt er, »das hatte dort keinen Sinn mehr.« Sein Fazit: »So will man unbequeme Künstler mürbe machen.«

Eine Bitte an den Präsidenten in Wien

Es ist nicht das erste Mal, dass der Münchner Künstler durch seine Aktionen mit der Aufmerksamkeit von Staatsschutz, Staatsanwaltschaft und Polizei beehrt wird. Bekannt wurde Kastner durch seine Kunstaktion »Die Spur der Bücher«, mit der er an die Bücherverbrennung der Nazis erinnerte. 2003 schnitt Kastner auf dem Salzburger Kommunalfriedhof eine schwarze Schleife von einem Kranz mit der Aufschrift: »Unseren gefallenen Kameraden von der Waffen-SS. Zum Gedenken« ab und schickte ihn an den österreichischen Bundespräsidenten mit der Bitte, diesen braunen Spuk zu beenden. Als die Münchner Staatsanwaltschaft davon erfuhr, sollte Kastner eine Strafe von 100 Euro wegen Beschädigung fremder Sache zahlen, was so auch das Oberlandesgericht fand. Die »Tat« des bayerischen Künstlers im Nachbarland wurde in München wegen »besonderem öffentlichen Interesse« verfolgt.

Im Jahr 2006 spazierte der Künstler, als Nuntius verkleidet, zusammen mit einem Hitler-Darsteller durch die Münchner Innenstadt. Die Aktion sollte anlässlich des Papstbesuches an das »Reichskonkordat von 1933«, einem Abkommen der Nationalsozialisten mit der katholischen Kirche, erinnern. Die Aktion rief Staatsschutzbeamte in Zivil auf den Plan, schließlich mussten die beiden Aktionskünstler wegen »Gefahrenabwehr« die Kostüme bei der Polizei abgeben.

Im Februar 2009 erinnerte Kastner mit einer Kranzniederlegung am Ort des Attentats und einer Bildübergabe an die Bayerische Staatskanzlei an den vor 90 Jahren ermordeten ersten bayerischen Ministerpräsidenten Kurt Eisner. Der Spaziergang von der Stelle des Attentats bis zur Staatskanzlei stieß dabei auf anwachsende Würdigung seitens der Staatsmacht: Begleiteten am Anfang zwei Polizeiwagen den Spaziergang, so waren es am Odeons-platz vor der Feldherrenhalle bereits vier Wagen und zwei Polizisten zu Pferd, während zwölf Beamte eifrig die Namen der Teilnehmer an der Kunstauktion erfragten.

Was ist die allerbeste Kunst?

»Das ist doch die beste Kunst, die sich mit der Wirklichkeit beschäftigt, sich nicht zurücklehnt ins warme Atelier und dort Ölbilder für das Kanapee des Bankdirektors malt, sondern an die Öffentlichkeit tritt und so weithin sichtbar ist für die Bevölkerung«, lautet das künstlerische Credo Kastners. Gegen den Bußgeldbescheid über 273,50 Euro will er Einspruch eingelegen.

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