Mit schusssicherer Weste in der U-Bahn

Nach den brutalen Übergriffen im Öffentlichen Personennahverkehr laufen zusätzliche Polizisten an Umsteigebahnhöfen Streife

  • Teresa Dapp, dpa
  • Lesedauer: 4 Min.
Sie sollen Gewalt verhindern und das Sicherheitsgefühl stärken. In Berliner U-Bahnen sind seit Mai verstärkt Polizisten unterwegs. Überall können sie jedoch nicht sein.

Donnerstagabend am U-Bahnhof Hermannplatz: In kleinen Gruppen gehen Polizisten über Bahnsteige, kontrollieren Vorplatz und Bahnhofshalle. Sie fallen auf mit ihren schusssicheren Westen, Schlagstöcken, Schusswaffen. Fahrgäste schauen interessiert oder beunruhigt, Gruppen von jungen Männern tuscheln, lachen.

Seit im Frühjahr schockierende Überwachungsvideos für Aufsehen sorgten, die zeigen, wie Menschen auf U-Bahnsteigen brutal misshandelt wurden, ist das Thema Sicherheit im öffentlichen Nahverkehr zum Dauerbrenner geworden. Senat und BVG griffen tief in die Kasse und reagierten mit einem ganzen Bündel von Sicherheitsmaßnahmen, zu dem auch eine verstärkte Polizeipräsenz in den U-Bahnen gehört. »Eigentlich sind die Gewalttaten zurückgegangen«, sagt Polizeioberkommissar Jan Kummerlöw. Er führt eine Gruppe von 20 Polizisten an, die an diesem Donnerstag die Linien U 7 und U 8 zwischen Hermannstraße, Hermannplatz und Rudow »bestreift«, um das »Sicherheitsempfinden der Bürger wieder zu stärken«, wie Kummerlöw in gutem Amtsdeutsch erklärt. »Die Medien haben sich so auf diese Videos gestürzt, das verunsichert die Bevölkerung natürlich.«

Die Polizeistatistik gibt ihm teilweise recht: Im Juli gab Polizeidirektor Thomas Dublies bekannt, dass die Zahl der angezeigten Körperverletzungen von 2007 bis 2010 um 11,8 Prozent gesunken sei. Im ersten Halbjahr 2011 gab es aber wieder einen leichten Anstieg.

Tatsächlich dürften es trotzdem eher die schockierenden Einzelfälle sein, die die Menschen beunruhigen und die Sicherheit in den Bussen und Bahnen zum Wahlkampfthema gemacht haben. Zuletzt war ein 53 Jahre alter Mann um U-Bahnhof Ullsteinstraße von Jugendlichen krankenhausreif zusammengeschlagen worden, als er seine Tochter beschützen wollte. Zwei der drei Täter waren erst 13 Jahre alt.

Die Beamten nehmen die U 8. Bei jedem Halt schauen sie aufmerksam aus der Zugtür, die Hände in die Seiten gestemmt, und auch während der Fahrt entgeht ihnen nichts, was sich im Wagen abspielt. Präsenz zeigen bedeutet nicht einfach nur mitfahren.

Im Bahnhof Hermannstraße sitzt ein junger Mann auf einer Bank. Er starrt apathisch vor sich hin, macht keine Anstalten, in die haltende Bahn einzusteigen. Kummerlöw spricht ihn an. »Haben Sie einen Ausweis dabei?« Wegen Drogendelikten ist der Mann bereits aktenkundig. Er wird durchsucht, ohne Ergebnis. Trotzdem gibt es einen Platzverweis bis zum nächsten Tag, 24 Uhr. An einem »kriminalitätsbelasteten Ort« reicht es, auf der Bank sitzen zu bleiben, um Verdacht zu erregen. Wer sich nicht wie ein Fahrgast verhalte, dürfe kontrolliert werden, erläutert Kummerlöw.

Oft helfen die Polizisten mit Fahrplanauskünften weiter, erklären Touristen den Weg. Nachts und am Wochenende geht es allerdings oft weniger entspannt zu. Ihr auffälliges Auftreten, in Gruppen und bewaffnet, schreckt nicht nur ab. Es macht sie auch zur Zielscheibe für Aggressionen. »Es gibt genug Leute, die Ärger suchen«, sagt einer der Beamten. »Vor allem betrunkene Jugendgruppen, die pöbeln uns an. Aber man versucht, professionell zu bleiben.«

Viel passiert an diesem Abend nicht. Zwei Schüler haben verbotene Silvesterböller bei sich, einige Hunde sind nicht angeleint, im U-Bahn-Bereich wird trotz Verbots geraucht. Kummerlöw selbst musste noch nicht eingreifen, wenn Auseinandersetzungen zu Gewalt führten, seine Kollegen schon. Wie viele Straftaten allein durch die Präsenz der Beamten verhindert werden, ist kaum messbar. Trotzdem kommt es weiterhin zu Gewaltausbrüchen in Berliner U-Bahnen. »Wir können nicht überall sein und nicht alle Straftaten verhindern«, muss Kummerlöw einräumen. »Aber wenn wir da sind, stärken wir trotzdem das Sicherheitsgefühl.«

Das sagen die Parteien:

SPD: Keine Ausweitung von Polizeibefugnissen. Strategie der Deeskalation fortführen. Kein weiterer Stellenabbau bei der Polizei. Neuköllner Modell zu vereinfachten Jugendverfahren landesweit ausdehnen. Weg einer bürgernahen Großstadtpolizei weiter beschreiten.

CDU: 250 Polizisten sofort einstellen. Auch ehrenamtlicher Polizei- und Ordnungsdienst möglich. Kennzeichnungspflicht für Polizisten abschaffen. Videoüberwachung ausweiten. Runder Tisch gegen extremistische Gewalt. Neuköllner Modell für ganz Berlin. Aufgabenspektrum des Ordnungsamtes auf Graffiti ausweiten.

LINKE: Wiedereinführung eines universitäres Kriminalistikstudiums. Fortsetzung des zurückhaltenden Auftretens der Polizei bei Demonstrationen. Umsetzung der Kennzeichnungspflicht. Einführung einer unabhängigen Untersuchungsinstanz, die Übergriffe von Polizisten aufklärt, aber auch als Anlaufstelle für Polizisten selbst dient.

Grüne: Prävention von Kriminalität verbessern. Sicherheitsinstitutionen besser vernetzen. Alle Sicherheitsgesetze evaluieren. Echte wissenschaftliche Überprüfung des Nutzens der Videoüberwachung. Mehr Polizei auf den Bürgersteigen. Einführung eines unabhängigen Polizeibeauftragten, der zwischen Bürgern und Beamten vermitteln soll.

FDP: Kein Überwachungsstaat. Aufklärung gegen Extremismus Gegenstand schulischer Bildung. Mehr Polizei auf den Straßen, um wieder Ansprechpartner für die Bürger (»Freund und Helfer«) zu werden. 300 neue Polizisten zur Anhebung des Personalbestands. Flächendeckende Wiedereinführung des Kontaktbereichsbeamten. MK

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