Warten auf die Bildungsreform

Baden-Württemberg: Statt eines Aufbruchs herrscht in der Schulpolitik Stillstand

  • Erhard Korn
  • Lesedauer: 5 Min.
Die Mühen der Ebene
Die Mühen der Ebene

Wer am Beginn des neuen Schuljahres ins Amtsblatt schaut, wird enttäuscht: Als Neuerung wird die schon von der CDU beschlossene Reform der Lehrerbildung verordnet, künftig getrennt zwischen Grundschule einerseits, Haupt- und Realschule andererseits. Die Schulen in Baden-Württemberg warten also noch immer auf die von der neuen Landesregierung als Tätigkeitsschwerpunkt angekündigte Bildungsreform.

Offenbar waren die Bildungspolitiker der neuen Regierungskoalition aus Grünen und SPD selbst überrascht von ihrem Wahlsieg und verfügten beim Regierungsantritt weder über ein Umsetzungskonzept noch über die notwendige Personalstruktur. Eine kleine Gruppe von Spitzenleuten zog sich über Wochen zur internen Beratung zurück, von neuem Politikstil und der Einbeziehung der Betroffenen kann bisher nicht die Rede sein.

Als »Startschuss für den Bildungsaufbruch« hat die neue Kultusministerin Gabriele Warminski-Leutheußer nun die Wahl der weiterführenden Schule durch die Eltern angekündigt; bisher entscheidet eine Prognose der Grundschule auf Grundlage des Notenschnitts von Deutsch und Mathematik, ob das Gymnasium, die Realschule oder »nur« die Haupt- bzw. Werkrealschule besucht werden darf.

Verunsicherung verursacht dieses Vorhaben bei den Hauptschulen, die gerade eine Schließungs- und Zusammenlegungswelle hin zu Werkrealschulen hinter sich haben und nun einen erneuten massiven Schülerrückgang befürchten müssen – mit der Konsequenz weiterer Standortverluste. Umgekehrt drohen die überlaufenden Realschulen und Gymnasien noch mehr an Kapazitätsgrenzen bei Personal und Räumen zu stoßen. Ohne zusätzliche individuelle Förderung und die dafür notwendigen Ressourcen dürfte der Übergang in Gymnasium und Realschule für schwächere Schüler nicht unbedingt zur Erfolgsgeschichte werden: Befürchtet wird, dass die Zahl der »Rückschulungen« steigt und die Hauptschulen noch mehr zum Auffangbecken für diejenigen werden, die es nicht geschafft haben. Klar ist aber: Hauptschule und Werkrealschule sollen nicht »abgeschafft« werden.

Der neue CDU-Landesvorsitzende Thomas Strobl wirft der Regierung vor, dass sie »einen schulpolitischen Flickenteppich macht und im Land der Einheitsschule den Weg ebnet« und zeigt damit, dass sich die bisherige Staatspartei mit ihrer Oppositionsrolle noch schwer tut. Bei aller Polemik: die Bildungspolitik der neuen Landesregierung ist durchaus kompatibel mit dem Antrag des CDU-Bundesvorstands für den Parteitag im November, dem sich die Landesunion bei ihrer Fraktionsklausur am Wochenende weitgehend angenähert hat. Strobl zeigte sich einigermaßen einverstanden mit dem auf eine Zweigliedrigkeit des Schulwesens setzenden Konzept der früheren Stuttgarter Kultusministerin und jetzigen Bundesbildungsministerin Annette Schavan: Solange weiter ein Hauptschulabschluss vergeben werde, könne das auch unter dem Dach einer »Oberschule« geschehen.

Die Gemeinden, die ihre weiterführende Schule verlieren könnten, wurden von Staatssekretär Mentrup (SPD) ermutigt, Konzepte für Gemeinschaftsschulen vorzubereiten. Etwa 100 Interessenten haben sich gemeldet, doch befürchtet die GEW angesichts des Zeitdrucks bis zu den Übergangsentscheidungen der Eltern am Ende des Schuljahres, dass Hauptschulen nur oberflächlich – wie das bei der Werkrealschule erfolgte – ohne genügende Vorbereitung und Unterstützung zu Gemeinschaftsschulen umlackiert werden. Gebremst wird die Reformbereitschaft der Kollegien zudem durch fehlende Informationen schon für die Zukunft der bestehenden Schularten. So wissen die Schülerinnen und Schüler der 9. Hauptschulklassen noch immer nicht, ob dies denn ihr letzte Schuljahr ist (und sie sich schnellstens eine Lehrstelle suchen sollten!) oder, nach der vage angekündigten Einführung eines 10. Schuljahrs für alle, das vorletzte sein wird. Ebenso wenig herrscht Klarheit über die Art und Wertigkeit der Abschlüsse, die dann nach Klasse 9 und 10 erworben werden.

Bis in die Lehrerschaft hinein umstritten ist die avisierte Möglichkeit, parallel zum bleibenden Turbogymnasium G 8 auch G 9-Züge einzurichten: Werden durch G 9-Züge Gemeinschaftsschulen untergraben, weil die Schüler dann gleich in G 9 gehen? Und wird, wenn es bei G 8 bleibt, ein Zweisäulenmodell festgeschrieben, weil Schulen mit unterschiedlichem Zeitrahmen innerhalb der Sekundarstufe I nicht zusammengebracht werden können?

Dass die Kindergartengebühren wider alle Wahlkampfversprechen nicht gestrichen werden, wird selbst von den beiden zuständigen Ministerinnen Warminski-Leutheußer und Theresia Bauer (Wissenschaft) kritisiert, da eine kostenlose Bildungskette unten beginnen sollte. Dass nun landauf, landab von den Gemeinden die Kindergartengebühren auch noch erhöht werden, stößt der Basis vielerorts sauer auf. In Marbach trat sogar der populäre Fraktionssprecher der Grünen, Hendrik Lüdke, aus der Partei aus mit der Begründung, es ärgere ihn maßlos, dass die Kindergartengebühren nicht abgeschafft wurden und die Studiengebühren erst von 2012 an gestrichen werden sollen – aber das Gesetz über die Diätenerhöhung habe man schon im Juli verabschiedet. Kritisch gesehen wird auch die bevorzugte Förderung der Privatschulen, die 20 Prozent der Schulbauzuschüsse erhalten, obwohl sie nur von 7 Prozent der Schülerinnen und Schüler besucht werden.

An den Schulen herrscht im Moment eher verhaltene Skepsis als Aufbruchsstimmung. Und unter den Gruppen mit den größten Reformerwartungen entsteht der Eindruck, die Führung im Neuen Schloss in Stuttgart sei mehr damit beschäftigt, die Reformgegner zu beruhigen als die Reformkräfte zu mobilisieren. Schon die Regierung von Stephan Mappus musste schmerzlich erfahren, dass Sparpolitik im Bildungsbereich wenig populär ist. Er versprach bis 2013 die Absenkung des Klassenteilers auf maximal 28. Jamaika im Saarland verspricht den Gemeinschaftsschulen 22-25. Grün-SPD in Baden-Württemberg aber will bei 30 bleiben. Ob so ein Systemwechsel zu individueller Förderung möglich ist, muss sich nun zeigen.

Der Autor ist Rektor einer Grund- und Werkrealschule und Vorsitzender der GEW-Fachgruppe Hauptschule in Baden-Württemberg.

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