Rrrr...zack! Polaroid ist zurück

Ausstellungen und Hobbyfotografen entdecken wieder den Reiz des Sofortbilds

  • Jenny Becker
  • Lesedauer: 4 Min.

Ein Mädchen mit durchdringendem Blick verfolgte die Berliner Passanten zwei Monate lang. Halb trotzig, halb herausfordernd schaute sie vom Eingang des Museums C/O Berlin herab, eingefasst von einem weißen Polaroid-Rahmen. Eine Fotoskizze, einst als reines Nebenprodukt entstanden, thronte als monumentales Plakat über der Straße, um für die Ausstellung »Polaroids« von Sibylle Bergemann (1941–2010) zu werben. Anschaulicher hätte der längst vollzogene Wandel des winzigen Sofortbilds zum anerkannten Kunstwerk kaum sein können. Nachdem es lange Jahre still war um das Fotoverfahren mit Kultfaktor und sich die Blicke auf die Errungenschaften der Digitalisierung richteten, erlebt das Polaroid seit Kurzem ein Comeback.

Die Bergemann-Ausstellung ist bereits abgebaut, sie war nur eine unter vielen Schauen, die sich in diesem Jahr dem fast vergessenen Medium widmen. Gerade läuft in der Berliner Helmut-Newton-Stiftung die Ausstellung »Polaroids« des bekannten Modefotografen, und das Museum für Gegenwartskunst in Siegen zeigt poetische Aufnahmen des Künstlers Cy Twombly, die allesamt mit einer schlichten Polaroid-Kamera angefertigt wurden.

Es scheint, als wühlten sich die Kuratoren, beflügelt von einer neuen Lust am Polaroid, durch die Werkbestände der Künstler. Der Schatz ist groß. Bevor das digitale Bild die Führung übernahm, machten Fotografen mit Sofortbildkameras ihre Probeaufnahmen, bald entdeckten sie das Polaroid mit seiner unverwechselbaren Magie auch als eigenständiges Medium. Von dessen Vielseitigkeit zeugt die jahrzehntealte »Polaroid Collection« mit Tausenden von Bildern und vielen bekannten Künstlernamen wie Ansel Adams, Andy Warhol oder David Levinthal. Den in Europa stationierten Teil der Sammlung kaufte das Wiener Fotomuseum WestLicht im Frühjahr dieses Jahres auf und präsentierte eine erste Auswahl jüngst in einer Ausstellung.

Wer auch nur eine der diesjährigen Expositionen besucht hat, versteht die Faszination für die vermeintlich veralteten chemischen Bilder. Die meisten sind trotz ihres beschränkten Formats von ungewohnter Intensität. Ganz so, als würde der Moment auf dem winzigen Raum gezwungen, zum Wesentlichen zu gerinnen. Beschränkung als Bildverstärker.

Vielleicht ist es diese Genügsamkeit, die das Interesse am Polaroid auch außerhalb der Kunstszene wieder aufleben lässt. Während sich auf den Festplatten zu Hause dutzende Ansichten eines Moments sammeln, die aus ihrer virtuellen Form nie in die Welt der Dinge gegossen werden, ist das Polaroid ein einzigartiges Objekt. Kein Negativ, keine Retusche. Ein Unikat, gemalt mit dem Pinsel des chemischen Zufalls, der Farben entrückt und die harten Kanten der Wirklichkeit verwischt.

Es gibt Versuche, die eigentümliche Ästhetik des Polaroids in die digitale Welt zu übertragen. Auf der Internetseite polaroid.net kann man seinen digitalen Bildern einen Polaroid-Look verpassen, und für Smartphones gibt es Anwendungen, die Handyfotos sofort wie das Kultbild aussehen lassen. Für Ditmar Schädel, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Photographie, sind das »witzige Partygags, aber kein Ersatz für Polaroids«. Die Faszination, das Bild sofort in die Hand zu nehmen und bei der Entwicklung zu beobachten, fehle. Ebenso das Gefühl, ein Unikat zu halten.

Dieses Gefühl wäre beinahe abhanden gekommen, als Polaroid 2008 Insolvenz anmeldete und die Produktion der Filme einstellte. Im Gegensatz zu anderen wollte Florian Kaps, Manager der lomografischen Gesellschaft in Wien, das Ende der Sofortbild-Ära nicht hinnehmen. Er gründete »The Impossible Project«, übernahm die Produktionsstätte im niederländischen Enschede und machte sich daran, neue Filme zu entwickeln. 2010 kamen die ersten auf den Markt, mit 31 neuen Bestandteilen, denn viele Chemikalien waren nicht mehr erhältlich oder durften nicht mehr verwendet werden – ebenso wie der Markenname. Im vergangenen Jahr verkaufte das Unternehmen 500 000 Filme, 2011 hofft es auf eine Million Verkäufe. Eine Kamera ist für 2012 in Planung.

Noch ist die Wiedergeburt von Problemen begleitet. »Das Material ist unbeständig, die Qualität reicht nicht an die von Polaroids heran«, so Ditmar Schädel. Größter Haken: Das ausgespuckte Bild muss sofort vor Licht geschützt werden, um sich einige Minuten in Ruhe zu entwickeln. Paradox, begründete doch gerade die Beobachtbarkeit den Ruf des Polaroids. »Rrrr ... zack! Schon ist's da! Sie sehen zu, wie Ihr Bild Gestalt annimmt«, so ein Werbespot von 1976. Impossible weiß, dass der Hype von einst sich nicht wiederholen wird und man für einen Nischenmarkt produziert. Der aber ist ihnen sicher. Denn weltweit gibt es nur noch ein Dutzend der wuchtigen Maschinen, die zur Produktion der Filme nötig sind – und die gehören alle Impossible.

Ausstellungen und Publikationen

  • Helmut Newton Polaroids. Museum für Fotografie, Berlin, bis 20. November
  • Cy Twombly Photographien 1951-2010. Museum für Gegenwartskunst Siegen, bis 30. 10.
  • Achim Heine u.a. (Hrsg.): From Polaroid to Impossible. Masterpieces of Instant Photography. The WestLicht Collection. Hatje Cantz 2011. 192 S., geb., 39,80 Euro
  • The Polaroid Book. Taschen. 372 S. Aus diesem Buch stammen die Fotos dieser Seite, v. o.: Hans Namuth: Ohne Titel; Andy Warhol: Andy Sneezing; Monica Nestler von Rosen: Ohne Titel.
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